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ZUKUNFT DER LUFTFAHRT
„So schön soll Fliegen werden.“
10. Dezember 2016

ZUKUNFT DER LUFTFAHRT

Seit Mai 2011 ist Sadiq Gillani Strategiechef bei Lufthansa. Als solcher ist er unter anderem verantwortlich für jedwede Akquisition und Tragfähigkeit der Lufthansagruppe. Auf der TEDx-Konferenz in Berlin sprach er über ganz banale Probleme, die dem Durchschnittspassagier auf seinem Weg von der Haustür bis zur Zieldestination begegnen, und wie man sie lösen kann. „Wie viele von Ihnen haben Spaß am Fliegen?“, fragt er in die Runde. „Wann haben Sie sich das letzte Mal über ihre Airline geärgert? Wer hat sein Gepäck schon einmal erst Tage nach Ankunft am Zielort erhalten?“ Fast alle Hände gehen mindestens einmal in die Höhe. Die meisten gehen erst gar nicht wieder runter. An einem Beispiel macht er deutlich, worauf er hinaus will. „Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem Weg zum Flughafen. Es geht um ein wichtiges Businessmeeting und der Verkehr kommt plötzlich zum Stehen. Kein Vor und kein Zurück mehr. Ihr Herz schlägt dafür mit jeder Minute, die sie im Taxi verlieren, immer schneller. Und nun stellen Sie sich vor, Ihre Airline wäre in der Lage, Sie per Smartphone-App zu orten, Ihre ungefähre Ankunft am Flughafen zu berechnen und Sie auf einen späteren Flug umzubuchen. Umgekehrt könnten überpünktliche Passagiere auf einen früheren Flug gebucht werden. Taxifahrer und Hotel am Zielort werden natürlich über die spätere bzw. frühere Ankunftszeit informiert. Klingt nach Science-Fiction? Technisch sind diese Verbesserungen im Service bereits möglich.“

 

Gillani ist selbst erfahrener Fluggast: Der Harvard-Absolvent ist bereits in über 115 Länder gereist und lebte auf sechs Kontinenten. Grundlage seiner Vision für die Luftfahrt ist die digitale Revolution, deren Tempo in den letzten Jahren exponentiell in die Höhe geschnellt zu sein scheint. Der Experte meint: Kommt es zu einem regen, aber vom Passagier regulierten Datenaustausch zwischen Kunden und Airline, können Lufthansa und Co. ihren Gästen stressfreiere und erlebnisreichere Flugreisen möglich machen. Diesen Traum vom Erlebnisflug beschreibt er weiter in fünf Schritten.

 

So schön soll Fliegen werden.

1. PLANEN

„Das Internet und Suchmaschinen haben unser Buchungsverhalten in den letzten zehn Jahren stark beeinflusst. Dank der neuen Preistransparenz haben nun nicht länger die Flugbetreiber das Steuer in der Hand, der Reisende entscheidet über finanzielle und Image-Höhenflüge und Abstürze der Airlines. In naher Zukunft werden Fluglinien in der Lage sein, potenziellen Passagieren – ganz ähnlich dem Amazon-Prinzip – Reiseprodukte vorzuschlagen, die die Interessen der User treffen.“ Dafür sollen diverse Daten, von der Wettervorhersage in Südamerika über den Facebook-Freund in Rio de Janeiro bis hin zur Lieblingsband ausgewertet werden. Spielt also gerade Noah and the Whale in Paris, bekomme ich preisgünstige Sitzplätze zum Datum des Auftritts angeboten. Weiß KLM, dass ich Familie in Spanien habe, werde ich pünktlich zur deutschen Feriensaison eine E-Mail mit möglichen Flugdaten bekommen. Gillani könnte sich sogar vorstellen, dass sich die Programme der Airlines Gewohnheiten merken und persönlichere Angebote erstellen. Fliegt ein Gast stets nur mit Handgepäck, bekommt er den Sitzplatz neben sich, den er normalerweise mitbucht, für weniger Geld dazu. Hat ein Passagier bislang noch immer einen Snack von der Karte bestellt, wird er diesen mit dem nächsten Flug vielleicht sogar gratis bekommen. Fraglich ist nur, wie viele private Informationen gerade der deutsche Reisende mit Großkonzernen wie einer Airline teilen will. Immerhin scheuen noch immer über fünfzig Prozent der Deutschen sogar die Kreditkarte. Über achtzig Prozent aller Transaktionen im letzten Jahr wurden in bar getätigt.

2. BUCHEN

Ginge es nach Sadiq Gillani, würden Flüge in Zukunft ausschließlich über unser Smartphone gebucht. Präferierte Strecken werden uns schon im Startbildschirm angezeigt und Buchungsprozesse verkürzt. Weil wir den Flug normalerweise noch vor Hotel und anderen Reisearrangements buchen, soll die Airline nach Ticketkauf auch gleich Unterbringung und Aktivitäten vorschlagen, die zu unserem Passagierprofil passen. „Nehmen wir an, Sie buchen einen Flug nach New York und mögen wie ich das Theater. Ihre Airline wird Sie also über die jeweilige App über die neuesten Broadway-Shows und Rabatte informieren. Wenn Sie durch die Straßen wandeln, werden Sie über Push-Benachrichtigungen auf für Sie interessante Orte und Lokale aufmerksam gemacht. Der Reisende des 21. Jahrhunderts will zu jeder Zeit über seine Möglichkeiten am Zielort informiert sein. Wir wollen aber auch wissen, mit welchem Flugzeugtyp wir fliegen und wo wir sitzen werden. Der Informationsaustausch kann über so eine App ablaufen.“

 

3. LOS GEHT’S

„Bislang folgte auf den Buchungsprozess ein langwieriger und mitunter nervenaufreibender Check-in. Der gehört schon bald der Vergangenheit an. Unser Ticket wird uns ganz automatisch auf das Handy geschickt, und für unser Gepäck bekommen wir Bag-Tags, zum Selberanbringen. In der Schlange stehen war gestern. Noch vor dem Transfer zum Flughafen checkt unsere Airline mögliche Staus auf dem Weg zum Airport und informiert uns rechtzeitig. Pünktlich angekommen, erscheint sogleich eine Karte auf unserem Handy, die uns sicher zu unserem Gate und durch den Security-Check führt.“ Es soll sogar möglich sein, über die App mit Mitreisenden zu kommunizieren und womöglich eine gemeinsame Taxifahrt zum Hotel zu arrangieren. Ob wir über die App auch flirten dürfen, bleibt abzuwarten.

4. DER FLUG

Wer dachte, ein eigener Flatscreen und ein mehr oder weniger breites Entertainmentangebot wäre das Ende der multimedialen Fahnenstange, hat sich getäuscht. Was auf diversen Flügen bereits getestet wird und auf den wenigsten schon jetzt Standard ist, soll bald gang und gäbe sein: Wi-Fi über den Wolken ist der Schlüssel zu einem noch individuellerem Angebot an In-Flight-Medien. „Siebzig Prozent der Passagiere nutzen mehrere eigene Geräte gleichzeitig. Heute stehen den Reisenden lediglich Stromanschlüsse für Tablet und Smartphone zur Verfügung, bald sollen Filme, Serien und Magazine aber schon vorab auf die Geräte geladen werden können, um an Bord die Langeweile zu vertreiben. Das Flugzeug wird so zur papierfreien Zone und somit umweltfreundlicher. Auch Menükarten und Shoppingangebote werden zukünftig auf dem Tablet angezeigt.“ Sogar das Interieur der Kabine soll interaktiver werden. Gillani träumt von Stimmungsdecken, die das Befinden des Passagiers farblich widerspiegeln sollen, und die Lichtverhältnisse verhalten sich gemäß dem Sonnenstand im Zielland, sodass der Jetlag auf Langstrecken nicht ganz so erbarmungslos zuschlägt. Und wie verhält es sich mit dem kulinarischen Angebot an Bord? „Wäre es nicht toll, wenn die Crew schon im Vorfeld wüsste, was ich gerne esse und was mein Lieblingsdrink ist? Nicht nur würden diese Informationen den Job der Stewards und Stewardessen erleichtern, das Gewicht an Bord könnte maßgeblich reduziert und Benzin gespart werden.“

 

5. ANKOMMEN

„Ich kann mir vorstellen, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft von Drohnen vom Flugzeug abgeholt und direkt zum Hotel gebracht werden. Die heutige Drohnentechnologie zeigt, dass es auch bald möglich sein wird, erste Flüge ohne Piloten durchzuführen, obwohl dieses Unternehmen für Cargoflüge wahrscheinlicher ist als für den Personenverkehr. Die Zeit, die wir auf Zoll und Einwanderung verwenden, könnte in wenigen Jahren optimiert werden, wenn unsere persönlichen Daten automatisch und vorab von unserem Smartphone übermittelt werden würden.“

 

Alles in allem hört sich Gillanis Vorstellung von der Zukunft der Luftfahrt nicht schlecht an. Viele der von ihm vorgestellten Technologien und Ideen werden bereits erprobt und einige sogar schon auf Flügen getestet. Es bleibt allerdings abzuwarten, welche seiner Visionen sich auch in der Realität bewähren und wie viel Transparenz dem Fluggast geheuer ist. ///

 

Text: Felix Just / Illustrationen: Patrick Mason

10. Dezember 2016 Travel m #45 zum mate.style.lab