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VOM PLAYBOY
ZUM DISPLAYBOY
ein Plädoyer für soziale Monogamie
11. Juni 2020

VOM PLAYBOY ZUM DISPLAYBOY

Wir leben kurz und sind viel zu lange tot. Dem modernen Don Juan rinnt die Zeit durch die Finger, seine Suche ist rastlos. Er glaubt nicht an einen tieferen Sinn der Dinge, verfolgt stattdessen eine Strategie der Quantität. Seiner Hoffnung, alle Männer haben zu können, steht der Glaube gegenüber, es gebe den einen, der alle enthält. Die Suche nach Qualität statt Quantität wird den monosexuellen Romantiker aber mit großer Wahrscheinlichkeit in die gleiche Sackgasse führen: ein Dasein als Single. Wer einen Ausweg aus dem Dilemma dieser beiden extremen Strategien finden will, wird seinen Weg wohl irgendwo zwischen dem rastlos Liebenden und dem restlos Treuen suchen müssen. Für den Mann des 21. Jahrhunderts keine ganz leichte Aufgabe.

DIE DIGITALISIERTE LUST

Wer heute liebt, der kopiert automatisch. Kein Geräusch ist neu, keine Stellung ungesehen, kein Höhepunkt nicht bereits in zahllosen Online-Clips gesehen. Entsprechend groß ist die Erwartung, beim Sex ein nicht näher definiertes zeitliches Minimum nicht zu unterschreiten, Mindestmaße zu erfüllen und maximale Lust zu schenken. Nach dem Sex ist die Leere oft ebenso groß wie die Enttäuschung eines Kindes, wenn der Flugzeugträger aus dem Modellbaukasten nicht dem Bild auf der Pappschachtel entspricht. Die Erwartungen an den kurzen Moment des Glücks machen die gemeinsame Ejakulation zum kostbarsten Gut einer flüchtigen Zeit. Das millionenfach inszenierte Liebespiel und eine bis ins letzte Byte entzauberte Männlichkeit bringen Menschen aber nicht automatisch aufs gemeinsame Bettlaken. Nicht umsonst haben Männer mit Porno und virtuellem Sex auch den Orgasmus ohne Zwang und Sexpartner erfunden. So weit wie heute konnte man beim zeitgleichen Sex noch nie entfernt sein. Selbst die Stimme am Telefon, die schon seit Langem einem Tonband am anderen Ende der Welt gehören kann, ist überflüssig geworden. Ein körperfreier Eros kann sich auch über Bildschirm und Tastatur seinen Weg auf unsere Kleenex- Rolle bahnen. Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lang, bis Leder, Latex, Turnschuh oder Unterwäsche ihren Stellenwert als beliebter Fetisch verloren haben. Sie werden ihn an die Maschine abgeben, in der die Lust verschwunden ist: den Computer. Der Mann wird vom Playboy zum Displayboy.

QUALITÄT VERSUS QUANTITÄT

Der Sex wird zeitgleich zur Wellness. Kaum eine Zeitschrift enthält uns heute noch die gesundheitsfördernde Komponente des Geschlechtsverkehrs vor. Er verlängert die Lebenserwartung, stabilisiert den Kreislauf, verjüngt die Haut. Küssen, so heißt es, vermindere zusätzlich lästige Mimikfalten. Die Liste ist nicht neu – vor einigen Jahren zählten diese Punkte aber noch zu den positiven Nebenwirkungen des Sports. Damals war körperliche Bewegung noch Ersatzbefriedigung. Man ging joggen, wenn sexuelle Energie auf anderem Weg nicht ausgelebt werden konnte. Inzwischen ist der Liebesakt zum sportlichen Ereignis geworden. Man übt sich nicht an Reck, Barren oder Pferd, sondern am Körper seines Gegenübers. Die Freude an der Verschmelzung mit einem anderen Wesen ist der Übung an fremden Samensträngen gewichen. Wer das Drehbuch der Pornoindustrie verinnerlicht hat, braucht sich in sein Gegenüber nicht erst hineinzuversetzen. Wie praktisch: Er reagiert einfach reflexartig und ist mit sich und dem Ergebnis zufrieden. Und wenn eines Tages Zufriedenheit, sportlicher Eifer und sexuelle Wellness einen belanglosen Beigeschmack bekommen? Wenn es kein Vorwärts mehr gibt, sondern bestenfalls Stillstand? Wenn der Organismus weitere Rekorde nicht mehr bewältigt, alle luststeigernden Substanzen ausgereizt sind oder die Psyche keine Energie mehr hat? Dann ist womöglich der Zeitpunkt gekommen für einen Blick zurück.

 

Wie war das noch beim ersten, zweiten oder vielleicht sogar zwölften Mal mit dem gleichen Partner? Monogame Menschen scheinen ein Geheimnis zu hüten, das dem seriell Multisexuellen verborgen bleibt: die beständige Neuentdeckung ein und desselben Menschen. Die Philosophie der Qualität. Wer bereits seine Erfahrungen damit gemacht hat, weiß um den geringen Wahrheitsgehalt eines alten Vorurteils: In einer monogamen Beziehung sind Wiederholungen nämlich keineswegs immer langweilig und negativ.

 

Den Begriff der Monogamie muss man dabei keinesfalls katholisch auslegen. Monogamie – also Einehe – ist in ihrer reinen Wortbedeutung keinesfalls gleichbedeutend mit monosexuellem Verhalten – also sexueller Treue gegenüber einem Menschen. Sie schließt aber durchaus das Wagnis ein, gemeinsam mit einem einzigen Menschen die Vergänglichkeit des Daseins auszuhalten. Und das mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreicher als ein sexueller Einzelkämpfer am Rande der eigenen Potenz. ///

 

Dieses Feature ist Teil der „Better Life“ Edition der Mate, die exklusiv auf Readly erhältlich ist.

 

Text: Carsten Heider

11. Juni 2020 Body m # zum mate.style.lab