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STARK WIE LANZELOT,
FIT WIE SCOTTY
„Diverse Läden führen bereits Insektenprodukte, Algen sind in Asiamärkten und ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich.“
23. März 2017

STARK WIE LANZELOT, FIT WIE SCOTTY

George Gordon Byron, den meisten besser bekannt als Lord Byron, war eine der schillerndsten Figuren der Literaturgeschichte. Er liebte das Abenteuer und frönte einem Lebensstil, um den ihn so mancher Hollywoodstar heute beneiden würde. Trotzdem war Lord Byron nicht glücklich. Byrons Erzfeind: sein eigener Körper. Neben einem Geburtsfehler, der ihn mit einem Klumpfuß strafte, war Byron besessen von dem Wunsch, schlank zu sein. Im frühen 19. Jahrhundert war er es, der nach Doktor George Cheyne die nächste große Diätwelle in England lostrat. Essig und Kartoffeln waren oft die einzigen Nahrungsmittel, die er über lange Zeit zu sich nahm. Essig, um aufkommenden Appetit niederzuschlagen, Kartoffeln, um nicht von seinem Schlankheitswahn getrieben kraftlos in Ohnmacht zu fallen. Adel und Bürger gleichermaßen folgten seinem Beispiel. Byrons Essigkur war effektiv, aber wenig gesund. Durchfall und Erbrechen waren häufig die Folge der Selbstkasteiung. Heute wissen wir: Wer langfristig Pfunde verlieren will, MUSS essen. Was aber, wenn das perfekte Abnehmmodell schon viel früher existierte? Was aßen unsere Vorfahren? Warum liest man selten bis nie von fetten Rittern aus der Zeit von Burgen und Königen? Oder sollten wir womöglich einen Blick in die Zukunft wagen und uns ein Beispiel an der Besatzung der Enterprise nehmen?

STEINZEITDIÄT

Die Steinzeitdiät, oder Paleo-Diät, wurde 1975 erstmals von Walter L. Voegtlin m gleichnamigen Buch erwähnt. Die Diät geht davon aus, dass wir mit einer Rückbesinnung auf die Ernährung unserer Vorfahren Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Herzerkrankungen vermeiden. Noch vor 10.000 Jahren gab es weder raffinierte Zucker noch Salze, Konservierungsstoffe oder Aromen und andere Zusatzstoffe. Außerdem hatte der gemeine Homo sapiens nur begrenzt Zugang zu Kohlenhydraten, womit Paleo-Fans die Gewichtsreduktion erklären. Auf den Tisch kommen lediglich Produkte, die bereits im Jahre 8.000 vor Christi Geburt verfügbar waren: Fleisch, Fisch, Nüsse, Gemüse und Früchte in ihrer ursprünglichsten Form sind erlaubt. Nahrungsmittel mit Zusätzen, Süßigkeiten, Milchprodukte und sogar Brot sind verboten, denn Landwirtschaft und Viehzucht waren noch viele tausend Jahre entfernt. Die Steinzeitdiät ist eine der einseitigsten Diäten überhaupt und birgt unter anderem die Gefahr von Vitamin- und Kalziummangel. Die großen Fleischmengen können zur Verstopfung der Arterien führen. Der weitgehende Verzicht auf Fette und Zucker andererseits kann gesundheitsfördernd wirken, oft wird aber in Paleo-Guides dazu geraten, sich ein Cheat Meal pro Woche zu gönnen. Der moderne Höhlenmensch muss sich also nicht gänzlich von Snickers und Co. verabschieden.

 

MITTELALTERDIÄT

Schwertkämpfe, mutige Ritter, abendliche Gelage – im Mittelalter ging es rau zu. Es herrschte kein Darwinismus, wie ihn sein Namensgeber viele Jahrhunderte später beschrieb, sondern eine konditionierte Version dessen. Nicht der Stärkere überlebte, sondern derjenige, der in den Adel oder über dem Stand von Gesindel und Bettlern geboren war, bekam ausreichend zu essen und überragte so die Armen und auch die Bauern. Tatsächlich waren Ritter aufgrund ihrer Ernährung oft höher gewachsen als das Volk, das sich auf dem Acker verdingte. Während sich die herrschende Kaste der Völlerei hingab, hielten sich Söldner und Ritter an eine strenge Diät, die es ihnen erlaubte, lange Kämpfe und das tägliche Training durchzuhalten. Anders als für die Menschen von vor 10.000 Jahren waren Getreide und Milchprodukte im Mittelalter bereits fester Bestandteil der täglichen Nahrung – vor allem die ärmere Bevölkerung griff zu Käse und Brot. Wer eine Rüstung trug, durfte sich über gegrilltes Fleisch, Fisch und Gemüse hermachen. Oft wurden sogar Früchte gekocht, da man annahm, rohes Gemüse und rohe Früchte würden der Gesundheit schaden. Salz stand nicht in großen Mengen zur Verfügung, war aber in der Küche durchaus vorhanden. Insgesamt war die Ernährung im Mittelalter ausgewogener, als der Höhlenmensch sie kannte. Vor allem aber die regelmäßige körperliche Betätigung der Ritter verhinderte, dass sie ihren Pferden den Rücken durchbogen. Bohnen, Erbsen und Linsen waren typische Beilagen mit hohem Energiegehalt und viel Protein. Fleisch vom Wild ist reich an Mineralstoffen und hat im Vergleich zum Vieh einen geringen Fettanteil. Und wer auf die Jagd ging, verbrannte noch Kalorien. Des Ritters tägliches Bier – oft schon zum Frühstück verzehrt – wirkte aufgrund des enthaltenen Hopfens entzündungshemmend, und die Mengen an Magnesium unterstützten den Muskelaufbau. Insgesamt hat die Mittelalterdiät nichts in Haushalten von Sportmuffeln verloren, wer aber regelmäßig das Fitnessstudio besucht, findet in Wildbret und Bohnen eine Alternative zu Proteinshakes und anderen Supplements.

FUTURE DIET

Eat up, Scotty! Es ist nicht lange her, da vermuteten Filmemacher und Scifi-Autoren die Zukunft unserer Ernährung in Gelatinekuben und Energiepasten. Auf der Enterprise mampfte die Besatzung fröhlich weiter Gemüse und Fleisch, ganz wie ihre Kollegen auf der Erde. Tatsächlich lautet das Stichwort für die Future Diet nicht Molekularküche. Insekten (!) sollen schon bald in der westlichen Welt auf den Teller und in die Mägen. Die weiter wachsende Weltbevölkerung, schrumpfendes Land und somit weniger Platz für die Viehzucht sowie die Erderwärmung machen es erforderlich, dass wir uns nach Alternativen zu Schwein und Rind umsehen. Was in Asien und anderen Teilen der Erde schon fester Bestandteil der Küchenkultur ist, könnte die Lösung für den steigenden Proteinbedarf auch im Westen sein und dabei noch Geld und Kohlenstoffdioxid sparen. Die Produktion eines Kilos an Krabblerprotein bedarf gerade einmal ein Zehntel der Futtermenge, die zum Beispiel für die Herstellung von einem Kilo Rindfleisch benötigt wird. Gleichzeitig ist der ökologische Fußabdruck einer Insektenfarm verschwindend gering im Vergleich zur Rinderzucht. Insekten sind reich an Aminosäuren und enthalten wertvolle Vitamine. – Eine große Rolle bei der Umstellung unserer Ernährung soll ein anderes in Asien bereits lange Zeit etabliertes Produkt spielen: Algen. Sie gelten als Anti-Aging-Wunder und finden bei der Zubereitung diverser Gerichte Anwendung, vor allem als Geschmacksmittel. In der Zucht sind Algen genügsam und brauchen, da sie im Wasser wachsen, nicht einen einzigen Quadratmeter kostbarer Baufläche. Natürlich kann sich kein Mensch nur von Grashüpfern und Seegras ernähren, als Ergänzung und Alternative zu hormonschwangerem Supermarktfleisch und versalzenen Fertigspeisen können Proteine aus Insekten und Algen aber schon heute zu einer gesünderen Lebensweise beitragen. Diverse Läden führen bereits Insektenprodukte, Algen sind in Asiamärkten und ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich. ///

 

Text: Felix Just / Illustrationen: Patrick Mason

23. März 2017 Body m #46 zum mate.style.lab