-
-
-
 
MEDINA
„Wenn mir etwas nicht passt, dann sage ich das auch.“
19. Dezember 2015

MEDINA

Medina ist keine gewöhnliche Sängerin. Sie ist die erfolgreichste dänische Solokünstlerin aller Zeiten und mit ihrer charakterstarken Stimme und groovigen Klubbeats seit langem eines der ungewöhnlichsten Phänomene der europäischen Musikkultur. Medina ist die Art von Künstlerin, die sich für den Dreh ihres jüngstes Musikvideos fünf wilde Pferde wünscht und dann feststellt, dass sie allergisch ist. Medina dreht an einem der windigsten Orte Dänemarks, obwohl sie Wind eigentlich gar nicht mag. Medina stellt sich gerne quer. Ob’s trotzdem geklappt hat mit dem Video? Wir trafen Medina in Kopenhagen.

ES IST JETZT DREI JAHRE HER SEIT DEM RELEASE DEINES LETZTEN ENGLISCHSPRACHIGEN ALBUMS. WO WARST DU SO LANGE?

Mit dem Songschreiben ist das so eine Sache. Man kann sich nicht einfach hinsetzen und sagen: „So, jetzt schreibe ich ein neues Album.“ Der ganze Schreibprozess hat zwei Jahre gedauert. Manchmal arbeite ich auch an einem Song in Englisch, und dann kommt plötzlich ein dänischsprachiger Song dabei heraus. Die Zeit vergeht wie im Flug – ganz besonders, wenn man in zwei Sprachen arbeitet.

 

WAR DAS LIEDERSCHREIBEN FÜR DICH SCHON IMMER ETWAS, DAS DIR IN DEN SCHOSS GEFALLEN IST, ODER KANN ES AUCH SCHON MAL IN ARBEIT AUSARTEN?

Wir wollten wirklich nur die besten Songs für dieses Album und es war harte Arbeit, die zu finden. Ich bin um die ganze Welt gereist und habe mich mit Produzenten und Songwritern getroffen. Manche Songs schüttelst du einfach aus dem Handgelenk, andere verlangen nach viel Geduld. Ich hatte zum ersten Mal keine echte Deadline. Das gab mir die Gelegenheit, schlechte Songs zu schreiben, um dann später Platz zu machen für die guten.

 

DU BIST EINER DER ERFOLGREICHSTEN ACTS DÄNEMARKS. WENN ES UM MUSIK AUS SKANDINAVIEN GEHT, DENKEN DIE LEUTE MEIST AN SCHWEDEN, AN ROXETTE ODER ABBA. WIESO, GLAUBST DU, HÄLT SICH DIE DÄNISCHE MUSIKSZENE NOCH IMMER IM SCHATTEN SCHWEDENS AUF?

Die Dänen haben sich ganz schön Zeit gelassen, das stimmt, aber so langsam kommt die Musikszene in Fahrt. Außerdem sind wir gerade einmal sechs Millionen Menschen in Dänemark – winzig im Vergleich zu Schweden. Trotzdem haben wir jede Menge talentierter Künstler. Schwedische Musik klingt oft gleich, die Dänen haben da schon einen eigenwilligeren Stil.

JETZT WO DU DICH FEST IN DER MUSIKWELT ETABLIERT HAST: WIE UNTERSCHEIDET SIE SICH VON DER, DIE DU DIR ZU BEGINN DEINER KARRIERE ERTRÄUMT HAST?

Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Hättest du mich vor fünf Jahren gefragt, hätte ich sicher anders reagiert als heute. Zu Beginn meiner Karriere dachte ich, ich wüsste, worauf ich mich einlasse. Aber als es dann tatsächlich so weit war, dass mich die Leute auf der Straße erkannt haben, musste ich feststellen, dass ich absolut keine Ahnung hatte. Ich lege viel wert auf meine Privatsphäre, heute mehr als noch vor fünf Jahren. Wenn ich aber auf dem Weg zu einem Gig bin oder einen TV-Auftritt habe, dann bin ich Medina die Künstlerin und es fällt mir leichter, mit dem Rummel um meine Person umzugehen. Abgesehen davon halte ich mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg. Wenn mir etwas nicht passt, dann sage ich das auch. (lacht)

 

LASS UNS ÜBER DEIN NEUES ALBUM SPRECHEN. ES IST DEIN DRITTES ENGLISCHSPRACHIGES ALBUM. WANN KOMMT …

Es kribbelt sofort in meinem Bauch, wenn du das sagst. (lacht)

 

WANN KOMMT ES AUF DEN MARKT?

Im Frühjahr!

 

WIE UNTERSCHEIDET SICH DAS NEUE ALBUM VON DEINEN LETZTEN BEIDEN INTERNATIONALEN ALBEN?

Meine Songs sind schon immer sehr persönlich gewesen. Wenn du dir meine Musik anhörst, weißt du ganz genau, wo in meinem Leben ich mich gerade befunden habe, als ich das Lied geschrieben habe. Wie die anderen beiden Alben ist auch das neue eine Art Auszug aus meinem Tagebuch. Der Unterschied ist, dass seit meinem letzten internationalen Album drei Jahre vergangen sind. Für mich war es schon immer wichtig, dass ich in meiner künstlerischen Freiheit nicht beschnitten werde. Wenn ich also ins Studio gehe und an diesem Tag das Gefühl habe, ich würde gern einen Country-Song aufnehmen, dann muss das in Ordnung sein. Klar ernte ich dann erst einmal erstaunte Blicke, aber am Ende des Tages sind es genau diese Lieder, die Hits werden. Eines meiner Lieblingslieder auf dem neuen Album zum Beispiel lässt sich überhaupt keinem Genre zuordnen: Es fängt erst ganz ruhig an und holt dich dann gegen Ende des Titels mit einem großen Knall ein. Es steckt viel Wut in diesem Song und ich kann mich heute noch gut erinnern, wie ich mich gefühlt habe, als ich ihn schrieb. In welche Schublade man das Lied stecken würde, weiß ich nicht, aber wie das Album heißen wird, das weiß ich schon. (lacht)

 

NATÜRLICH VERRÄTST DU UNS DEN NAMEN GERNE!?

„We Survive“ – genau wie die erste Single, zu der wir erst letzte Woche das Video gedreht haben.

 

AUS WELCHER SEITE DEINES TAGEBUCHS STAMMT DENN DIESES LIED?

Mit dem Lied kann sich wohl jeder identifizieren. Wir müssen alle irgendwann Dreck fressen und mehr Dreck und noch mehr Dreck. Jeder kennt das. Wir alle haben mal eine Phase im Leben, in der alles schiefgeht. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir tragen eine dicke Schicht Lippenstift auf, und dann geht es schon irgendwie weiter. Manchen Leuten fällt das leicht und manchen schwerer, aber alle Menschen haben eine innere Stärke in sich, die sie durch schwere Zeiten trägt.

 

UND DAS VIDEO?

In dem Video sieht man mich mit fünf wilden Pferden.

 

DU HAST SCHON BILDER VOM DREH AUF FACEBOOK VERÖFFENTLICHT.

Genau! Es war ein anstrengender Dreh. Als wir entschieden haben, dass „We Survive“ die erste Single werden würde, wussten wir, dass wir bald ein Video drehen müssten, wenn wir nicht gerade auf der anderen Seite der Erde shooten wollen. Das Wetter würde schon bald schlechter werden und so ein Dreh kann ganz schön Kohle schlucken, wenn man so verrückte Ideen hat wie ich. In diesem Fall habe ich mir vorgestellt, in einer Art Wüstenszenerie zu drehen und von fünf wilden Pferden begleitet zu werden. Zwei Tage vor dem tatsächlichen Dreh ist mir wieder eingefallen, dass ich auf Pferde höchstgradig allergisch bin. Wir haben also die stärksten Anti-Allergie-Pillen aufgetrieben, die wir finden konnten. Der Regisseur meinte daraufhin zu mir: „Und als Nächstes erzählst du mir, dass du noch nie geritten bist.“ Und damit hatte er nicht ganz unrecht. Ich hatte vielleicht als Kind einmal auf einem Pferd gesessen, und ein Erwachsener hat das Pferd geführt. Im Video aber hatten die Pferde weder Sattel noch Zaumzeug.

 

DAS HÖRT SICH GANZ SCHÖN GEFÄHRLICH AN.

(lacht) Ja, da hatte ich mir ganz schön was eingebrockt.

 

ES SCHEINT JA ALLES GUT GEGANGEN ZU SEIN. DU SITZT JA HEUTE VOR MIR.

Was ich dir aber noch nicht erzählt habe, ist, dass ich ganz sensibel auf starken Wind reagiere – und der Ort, an dem wir das Video gedreht haben, ist dafür bekannt, das ganze Jahr über sehr windig zu sein. Da stand ich also: halb nackt, extremer Wind und fünf Pferde, auf die ich allergisch war. (lacht)

 

ZUM TITEL „WE SURVIVE“ PASST DIESE SITUATION JA GANZ GUT.

(lacht) Ich habe es überlebt, ja!

WIR HABEN EINGANGS SCHON VON DEINEM TALENT ALS SONGWRITERIN GESPROCHEN. WIE DENKST DU DENN ÜBER SÄNGER UND SÄNGERINNEN, DIE EIGENTLICH NICHTS MEHR SIND ALS POSTERFIGUREN UND DIE MIT DEM KREATIVPROZESS IM GRUNDE NICHTS ZU TUN HABEN?

Es wäre Zeitverschwendung, sich darüber aufzuregen. Klar denke ich manchmal: „Es kann doch nicht sein, dass ich Herz und Seele in meine Arbeit stecke und andere mit weniger mehr Erfolg haben.“ Am Ende des Tages kann ich aber mit dem guten Gewissen zu Bett gehen, mein eigenes Ding zu machen. Mein Label gab es zu Beginn meiner Karriere noch gar nicht. Das mussten wir erst gründen, weil mich niemand unter Vertrage nehmen wollte. Heute brennen die Leute darauf, mit uns zusammenzuarbeiten – und darauf bin ich sehr stolz.

 

MAN HAT DICH SCHON OFT FÜR DEINEN EINZIGARTIGEN STIL GELOBT. WIE WICHTIG IST DIR DENN DIE ÄUSSERE ERSCHEINUNG GANZ PERSÖNLICH?

Ich trage, was ich will und was mir Spaß macht. Vielleicht entwerfe ich irgendwann mal eine eigene Linie. Mode ist wie Musik. Es ist nur eine andere Form, seinen Gefühlen und Ideen Ausdruck zu verleihen. Leider haben immer weniger Menschen den Mut, aus der Masse herauszustechen. Ich weiß nicht, wie es sich in Deutschland verhält, aber schau doch mal auf die Straße hier in Kopenhagen! Wie viele Leute siehst du denn, die Farbe tragen?

 

APROPOS DEUTSCHLAND: WIE GUT KENNST DU DICH EIGENTLICH IN DER DEUTSCHEN MUSIKSZENE AUS?

Xavier Naidoo mag ich sehr gerne. Ich habe ihn mal „Ich kenne nichts (das so schön ist wie du)“ performen sehen. Ich habe zwar kein Wort verstanden, aber der Auftritt hat mich total ergriffen. Bei der Goldenen Henne ist mal eine Sängerin mit einem glänzenden Mikrofon aufgetreten. Ich glaube, die ist in Deutschland ziemlich beliebt. Ich kenne aber ihren Namen nicht.

 

ICH GLAUBE, DU SPRICHST VON HELENE FISCHER. GIBT ES SONST NOCH DEUTSCHE KÜNSTLER, DIE DICH BEEINDRUCKT HABEN?

Ich wollte mal einen Song mit Tokio Hotel aufnehmen. Ich mag die Stimme von Bill und seinen Style.

 

WIR HABEN AUCH MIT BILL UND SEINEM ZWILLINGSBRUDER TOM EIN INTERVIEW ZUR VERÖFFENTLICHUNG IHRES LETZTEN ALBUMS GEFÜHRT. ER WAR ZIEMLICH SCHÜCHTERN.

Es ist schon komisch, wie die größten Stars oft total introvertiert sein können. Ich habe einen Freund, der ist mit seiner Musik sehr erfolgreich, mag es aber zum Beispiel ganz und gar nicht, berührt zu werden. Das ist natürlich blöd. Wenn du berühmt bist, wollen die Fans dir nämlich sehr, sehr nahe kommen. (lacht)

 

ERZÄHL DOCH MAL DIE GESCHICHTE HINTER DEM NAMEN MEDINA!

Es ist jetzt schon elf Jahre her, dass ich meinen Namen in Medina ändern ließ. Eines Morgens wachte ich auf und fühlte mich einfach elend. Ich litt unter starken Schlafstörungen. Kennst du magische Bohnen? Das waren so Spielzeugkugeln, die du mit einem Magneten über die Handfläche rollen konntest. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, ich hätte sie überall unter meiner Haut. Ich war voller Energie und todmüde zugleich. Mein Produzent hatte seinen Namen ändern lassen und riet mir, doch dasselbe zu tun. Was sollte schon passieren? Zur Not hätte ich ihn ja wieder zurückändern können. Er gab mir die Nummer einer Wahrsagerin, die sich mit Zahlensymbolik beschäftigte. Sie wusste Dinge über mich, die sie gar nicht hätte wissen können. Ich bin zwar sehr spirituell, aber auch eine große Skeptikerin. Sie sagte mir, welchen Einfluss mein Name auf mein bisheriges Leben hatte. Später habe ich in einem Namensbuch nach einer Alternative gesucht, und der Name Medina sprang mir förmlich ins Gesicht.

 

UND BIST DU NOCH IMMER GLÜCKLICH MIT DEINER ENTSCHEIDUNG?

Das ist jetzt so lange her, ich denke ehrlich gesagt darüber nicht viel nach, auch wenn mich einige meiner Freunde oder meine Mutter noch manchmal Andrea rufen.

 

KONSULTIERST DU DIE WAHRSAGERIN HEUTE NOCH MANCHMAL?

Sie ist wie vom Erdboden verschwunden! Sie war eine ganz seltsame Frau mit Haaren auf den Zähnen. Ich würde sie gern noch einmal treffen. Vielleicht versuche ich, sie zu finden.

 

LASS MICH WISSEN, WENN DU ERFOLGREICH WARST. ICH HÄTTE DA EIN PAAR FRAGEN AN SIE.

(lacht) Mache ich! /// www.medinamusic.dk

 

Interview: Felix Just / Fotos: Marco Van Rijt

19. Dezember 2015 Culture m #48 zum mate.style.lab