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MORPHING MABONENG
Johannesburg
17. August 2019

MORPHING MABONENG

Im stylischen Coworking-Space „Open“ mit seinem Indoor-Golfcourt und den großen Glasfronten fühlt man sich an Jobwelten in Barcelona oder London erinnert. Ich wende mich an den charmanten Paddy hinter der Espressotheke mit der Frage, wo ich denn eine südafrikanische SIM-Karte kaufen könne, und er zeigt auf die Straße hinunter. Durch die Panoramascheibe des vierten Stocks kann man auf der anderen Straßenseite neben einer Autowerkstatt einen schäbigen Minimarkt erkennen – davor qualmen auf einem Grill Maiskolben, ein Mann schiebt einen Handwagen mit Altplastik vorbei und mehrere Typen sitzen vor dem Geschäft auf dem Gehweg. Kurz darauf betrete ich mit etwas mulmigem Gefühl den engen, dunklen Shop und bekomme tatsächlich von dem in einem Gitterverschlag vor Überfällen geschützten Kassierer die Karte für mein iPhone.

Solche Kontraste beschreiben das Spektrum in Downtown Johannesburg. Die Main Street bildet dabei die Schnittstelle zwischen Maboneng und dem „gewöhnlichen“ Jeppestown. Hier die coolen Apartments, die originellen Cafés, die Ateliers und das künstlerisch-kosmopolitische Streetlife – dort die winzigen Geschäfte mit den selbst gepinselten Werbeschildern, die Straßenhändler, die Drogenabhängigen, die Schrottplätze. Maboneng – das ist diese Insel im Moloch, dieses Experiment eines trendigen urbanen Quartiers inmitten der heruntergekommenen, stagnierenden, von vielen Wohlhabenden gemiedenen Inner City Johannesburg.

Wie unüblich Urlaub in dieser Stadt ist, hatte schon die erfolglose Nachfrage nach einem Cityguide im heimischen Reisebuchladen gezeigt. Oder die Schwierigkeit vor Ort, überhaupt eine Ansichtskarte für meinen Vater zu finden – ganz zu schweigen von der entsprechenden Briefmarke … Wer sich trotz allem auf die Metropole in Südafrika einlässt, kann gerade in Maboneng eine Welt inmitten eines spannenden Wandlungsprozesses erleben, die jede Menge Lebendigkeit und Hoffnung ausstrahlt.

Es ist keine zehn Jahre her, da entstand Maboneng als Projekt der Stadtentwicklung, eines der am meisten vernachlässigten Viertel Johannesburgs aufzumotzen. Es ist dem privaten Unternehmer Jonathan Liebmann zu verdanken, dass sich im Lauf der letzten Jahre aus den düstersten Straßen von Jeppestown ein quirliges, kreatives und buntes Quartier herausentwickelte. Ein Prozess, der anderenorts oft kritisch beurteilt wird, stößt hier praktisch bei allen auf Begeisterung – erschien das Viertel davor doch wie vergessen oder aufgegeben. Heute wirkt die zentrale Fox Street wie eine Lebensader, die sich gerade an den Wochenenden zur pulsierenden Flaniermeile wandelt. Die Straßenmusiker der Azuri Street Symphony sorgen für die passende Klangkulisse. Neben vielen Restaurants mit lokaler und internationaler Küche und einer ganzen Reihe von Bars befindet sich hier das Bioscope, ein beliebtes Programmkino, in dem auch südafrikanische Filme laufen. Das Curiocity-Hostel am Ende der Straße ist nicht nur der lebendige Quartierstreffpunkt von Reisenden und Locals, sondern auch Ausgangspunkt für empfehlenswerte geführten Touren.

Am anderen Ende wurde ein historischer Gewerbekomplex zur Kulturstätte „Arts on Main“ mit Gastronomie, Läden, einer Eventhalle und dem beliebten Sonntagsmarkt mit afrikanischem und internationalem Streetfood umgewandelt. Der erste Stock überrascht mit frechem lokalen Design wie beispielsweise den extravaganten Schmuckkreationen aus Reißverschlüssen von Sibusiso.

 

Mit seiner Mischung aus originellen Cafés, Designerstores, Lofts in alten Fabriken, allerlei Galerien und dem Charme ehemaliger Industriebauten mit beeindruckender Street-Art auf zahlreichen Wänden ist Maboneng zum Anziehungspunkt für Kreative, Start-ups und eine afrikanische Avantgarde geworden – und wird dabei auch schon mal mit dem Berlin der 1990er-Jahre verglichen. Dass es trotz allen Wandels immer noch überwiegend schwarz geblieben ist, verleiht dem Viertel etwas Authentisches. Die allgemeine enorme Offenheit und Gesprächsbereitschaft machen es dem Besucher sehr leicht, Kontakte zu knüpfen und sich einzuschwingen auf diese Welt eines „neuen Afrikas“. Hier leuchtet die Vision von der Strahlkraft dieser urbanen Insel auf die gesamte Inner City, die leider immer noch viel zu sehr unter Verfall und Unsicherheit leidet.

 

Paddy aus dem Open liebt es, Teil dieses neuen Joburg zu sein. In welchem Kontrast dies zu der Welt steht, aus der er kommt, erfährt man, wenn man Soweto besucht. Die größte Township Südafrikas ist geprägt von schier endlosen Straßenzügen mit monotoner, einfacher Bebauung, vergitterten Garagengeschäften und schummriger Straßenbeleuchtung. Doch nicht nur im weltoffenen Maboneng, sondern auch dort lässt es sich als Schwuler gut leben, meint Paddy stolz. Im „Melting Pot Joburg“ haben somit viele schwule Männer aus anderen afrikanischen Ländern eine neue Heimat gefunden und bereichern die Szene. Der Gast aus Europa ist willkommen, darin einzutauchen. ///

 

Text & Fotos: Manfred Aleithe

17. August 2019 Travel m #56 zum mate.style.lab