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MARK CONSTANTINE
ÜBER DIE ENTWICKLUNG VON DÜFTEN
UND AFTERSHAVE
„Die Menschen sollten tragen, was ihnen gefällt, und sich nichts von der Fantasie eines anderen vorschreiben lassen. Nicht einmal von meiner.“
12. Januar 2017

MARK CONSTANTINE ÜBER DIE ENTWICKLUNG VON DÜFTEN UND AFTERSHAVE

Wenn Mark und Simon Constantine von „Juice“ sprechen, geht es um Parfüms. So nennen die Männer hinter dem Erfolgskonzept LUSH das, was letztendlich auf unserer Haut landet. Von ausgefallenen Flakondesigns oder teuer eingekauften Werbegesichtern hält das Vater-Sohn-Gespann nichts. Nur das, was in der Flasche ist, zählt.

Das Kosmetikunternehmen eroberte schon bald nach seiner Gründung Europa und die Welt. Diese steile Aufwärtsentwicklung nach ersten Startschwierigkeiten von Mark Constantine in den 1980ern hat LUSH vor allem seinem smarten Ladenkonzept zu verdanken. Die Stores erinnern ein wenig an eine Käsetheke: Angebote werden dem Kunden auf Schiefertafeln bekannt gegeben, bestimmte Produkte wie einige Seifen werden nach Kilopreisen berechnet. Mate-Autor Andreas Müller traf Mark Constantine in London und sprach mit ihm über die Kunst, einen Duft zu entwickeln, und wollte wissen, ob es ein Parfüm gibt, das so gut riecht wie ein Mann, der gar keines trägt.

DER GERUCHSSINN EINES MENSCHEN IST WAHRSCHEINLICH DER SINN, DER DIE TIEFSTEN EMOTIONEN UND ERINNERUNGEN HERVORRUFEN KANN, UND DER SINN, DER AM WENIGSTEN VOM BEWUSSTSEIN KONTROLLIERT WIRD. ICH NEHME AN, SIE ZIELEN BEI DER KREATION DER DÜFTE EHER AUF DIE GEFÜHLSWELT DES TRÄGERS AB UND WENIGER AUF DEN EFFEKT, DEN DER DUFT BEI DRITTEN HERVORRUFT?

Nein. Na ja, kommt drauf an. Manchmal entwerfe ich Düfte, die einen bestimmten Effekt auf den Träger haben sollen, aber diese Düfte landen dann eher in unseren Produkten, wo sie einen Zweck erfüllen. Bei Parfums geht es mir darum, mich selbst künstlerisch auszudrücken. Manchmal bin ich gerne Dienstleister, aber manchmal besinne ich mich auf mich selbst und die eigene Gefühlswelt und wie ich diese zum Ausdruck bringen kann. Und wenn das richtig gut funktioniert, drücke ich etwas aus, das wir alle gemeinsam haben und das deshalb auch beim Kunden funktioniert. Also nicht das hübsche Mädchen, in das ich mich mit 14 verliebt habe. So was habe ich in der Vergangenheit versucht und ziemlich schlechte Kritiken dafür einstecken müssen. (lacht)

 

DIE MEISTEN DER VORGESTELLTEN DÜFTE GELANGEN ABER AM ENDE IN DEN VERKAUF UND WERDEN VOM KÄUFER DAZU BENUTZT, AUF ANDERE LEUTE ANZIEHEND ZU WIRKEN. IHRE DÜFTE SIND ALLE ALS „UNISEX“ GEKENNZEICHNET. MACHT ES FÜR SIE EINEN UNTERSCHIED, WELCHES GESCHLECHT MIT DEM PRODUKT ANGELOCKT WERDEN SOLL?

Nein. So was passiert einfach. Neulich habe ich zum Beispiel etwas über unsere Duftlinie auf Facebook gepostet und eine frühere Angestellte antwortete darauf mit einem Kommentar: „Oh, ich erinnere mich noch an ‚Cocktail‘. Ich habe sogar noch etwas davon.“ Und ich kann mich tatsächlich daran erinnern, dass sie dieses Parfüm trug und dass der Effekt umwerfend war. Sie ist in meinem Kopf derartig mit diesem Duft verbunden, dass ich beinahe zurückgeschrieben hätte, dass ich nie in meinem Leben erlebt habe, wie jemand ein Parfüm besser getragen hat als sie „Cocktail“. Es war faszinierend. Ich weiß nicht, wie das funktioniert! Man trifft einfach jemanden, der den Duft so gut trägt, dass es einem fast den Atem raubt. Ich habe neulich drei Bilder von einem Künstler erworben, von dem ich früher schon einmal etwas gekauft habe. Mit diesen Bildern lebe ich seit dreißig Jahren, und es war toll, sich mit ihm darüber zu unterhalten – zum Beispiel darüber, wo die Bilder aufgehängt werden sollen. Wir haben das diskutiert, aber ich bin sicher, dass die Bilder in dem Moment, in dem sie an meiner Wand hängen, für mich etwas ganz anderes bedeuten als für ihn, während er sie gemalt hat.

GIBT ES EIN PARFÜM, DAS SO GUT RIECHT WIE EIN MANN, DER GAR KEIN PARFÜM TRÄGT?

Wenn Vögel singen, dann tun sie das in unterschiedlicher Lautstärke. Sie singen leise Lieder für die um sie versammelten Liebsten, und sie zwitschern in voller Lautstärke, wenn sie balzen. Duft sollte in ähnlicher Weise verwendet werden. Wenn man ausgeht, soll man einen Duft tragen, den man die ganze Straße runter riechen kann, wie ein Radar. Und man sollte auch etwas tragen können, das diskret und ganz persönlich ist. Ich mag es, wenn Menschen zum Beispiel ganz dezent ihr Kopfkissen beduften. Will sagen, Düfte können in verschiedenen Intensitäten existieren, man kann sie wie Lautstärke laut aufdrehen oder ganz leise machen, je nachdem, wie man’s grade braucht.

 

WELCHES IHRER PARFÜMS IST DENN SO SEXY, DASS MAN ES TRAGEN SOLLTE, WENN MAN SONST GAR NICHTS AN HAT?

Jasminduft ist ein Klassiker mit langer Geschichte. Wir haben ein Parfüm namens „Lust“. Ich habe vor einer Weile ein Parfüm entworfen namens „Two Hearts Beating as One“. Mit diesem Ausspruch sind meist die Herzschläge einer schwangeren Frau und die ihres Babys gemeint, aber in diesem Falle wollte ich dem doppelten Herzschlag von Jasmin und Rosenduft in einem Parfüm einen Titel geben. Jasmin als das fleischliche Element – die aggressive Sexualität – und Rosenduft als die schüchterne, unentschiedene, die Soll-ich-oder-soll-ich-nicht-Seite des Parfüms. Ich wollte einen Kampf dieser beiden Inhaltsstoffe abbilden, der erst auf der Haut des jeweiligen Trägers entschieden wird. Das hat am Ende nie so ganz perfekt geklappt, wie ich mir das gewünscht habe. Aber während der Arbeit daran ging es teilweise sehr sinnlich zu, und daraus ist dann der Duft entstanden, den wir heute unter dem Namen „Lust“ verkaufen.

 

HAT SICH DIE ART DER DÜFTE, DIE MÄNNER TRAGEN, VERÄNDERT, SEIT SIE BEGONNEN HABEN, SELBST WELCHE HERZUSTELLEN?

Der größte Unterschied zu früher ist – und sagen Sie das bitte allen Lesern –, dass Düfte nicht mehr im Gesicht getragen werden. Früher trugen Männer Düfte nur, wenn es richtig wehtat. Das Gesicht ist wahrlich der schlechteste Ort für einen Duft. Diese Veränderung ist die dramatischste. Der Typ, für den ich den Duft „Dirty“ entworfen habe – er lebt in Holland – schrieb mir einmal und erklärte mir, er hätte Rosazea (eine krankhafte Rötung der Haut im Gesicht, Anm. d. Red.). Ich bat ihn, mir einmal die Produkte aufzulisten, die er benutzt. Eines davon war Aftershave! „Aftershave! Ist das dein Ernst?“, fragte ich ihn. Wenn man wirklich nach Old Spice riechen möchte, dann soll man es sich bitte auf die Klamotten sprühen.

 

EINER IHRER ÄLTEREN DÜFTE HEISST „LADYBOY“, WAS WAHRSCHEINLICH DER SCHWULSTE PARFÜMNAME ALLER ZEITEN IST. ALLE IHRE PARFÜMS HABEN EINE GESCHICHTE.

Als ich Ladyboy designte, wollte ich eigentlich ein Punk-Parfüm machen und habe dabei ganz gegensätzliche Inhaltsstoffe verwendet – Veilchenblätter und Seetangextrakt –, Dinge, die sich eigentlich gegenseitig abstoßen sollten. Ich mischte diese Inhaltsstoffe zusammen und es roch großartig! „So riechen die Ladyboys in Brasilien“, sagte ein Freund, der viel dort unterwegs ist. Und so war der Name geboren. Ich liebe es, wenn der Duft, den jemand trägt, für diese Person „funktioniert“. Ich würde niemals vorgeben wollen, was ein Parfüm mit jemandem macht. In gewisser Weise würde ich sogar nicht wollen, dass ein schwuler Mann „Ladyboy“ trägt, weil es einfach ein Klischee wäre. Die Menschen sollten tragen, was ihnen gefällt, und sich nichts von der Fantasie eines anderen vorschreiben lassen. Nicht einmal von meiner. /// www.lush.de

 

Interview: Andreas Müller / Fotos: LUSH

12. Januar 2017 Body m #46 zum mate.style.lab