-
-
-
 
IM LAND DER SINGENDEN AMPELN
Japan
7. September 2019

IM LAND DER SINGENDEN AMPELN

Für jeden existieren Reiseziele auf der Welt, die eine Sehnsucht oder Magie repräsentieren. Japan ist nach Flugstunden zwar ähnlich weit entfernt wie die amerikanische Westküste, mental liegt die Reise jedoch weiter, da der Kulturkreis mit seinen Schriftzeichen und der traditionellen Verschlossenheit viel weniger verwandt anmutet.

Tokio, das für viele Europäer aufgrund der Direktflüge das am leichtesten zu erreichende Ziel ist, wirkt, als würde Apple eine Nation darstellen wollen: elegant, fortschrittlich, kultiviert. Auch in Zeiten zunehmender Millionenstädte ist der Großraum Tokio mit seinen 37 Millionen Einwohnern eine beeindruckende Größe. Dabei macht die Stadt es ihren Besuchern leicht, sich zurechtzufinden. Das bezieht sich vor allem auf die Nutzung des Nahverkehrs. Das Netzwerk ist durch ein Farbleitsystem ebenso logisch wie touristenfreundlich und mit günstigen Tageskarten zu nutzen. Die Position der U-Bahn-Türen ist auf dem Boden markiert und die Wartenden stehen ordentlich in einer Schlange dahinter – es ist zum Weinen schön. Selbst die Tarife sind leicht zu identifizieren, da jede Station mit dem fälligen Betrag auf den Netzplänen angegeben wird. Wenn eine Stadt auf Olympia vorbereitet ist, dann Tokio auf 2020.

Tokio gilt als Shopping-Eldorado. Aber bevor man sich auf den Weg macht, sollte man genau wissen, was und wo man sucht. Jeder einzelne Bezirk gleicht von der Größe her einer europäischen Metropole, sodass man nie das Gefühl hat, am richtigen – weil zentralen – Ort zu sein. Die vielfach gepriesenen Kaufhäuser sind eher enttäuschend und Fundstücke japanischer Produktvielfalt schwer zu finden, da man die Beschriftung natürlich nicht lesen kann. Der Bezirk Harajuku allerdings ist mit seinen kleinen Läden in einer Zone verkehrsberuhigter Straßen sicherlich für Modebegeisterte der reizvollste Ort. Hier sind sowohl internationale Labels als auch viele innovative japanische Designer zu finden, wobei es allerdings nicht gerade Schnäppchen gibt. Außerdem enden die vorrätigen japanischen Kleidungsgrößen in der Regel bei L – und zwar einem sehr kleinen L. Glück hat, wem aus dem Lager noch eine Doppel-L organisiert werden kann.

Wer kein großer Freund von Seafood ist, wird im ganzen Land eine schwere Zeit haben. Es schadet nichts, sich darauf einzustellen, dass das Frühstück „Starbucks“ und das Mittag „McDonalds“ heißen kann. Das frühe Abendessen (ab 17:00 Uhr) kann man versuchen, durch gründliche vorherige Recherche selektiv zu erkunden. Am leichtesten wird man hier mit Sushi zurechtkommen, was außerdem vor dem Verlust eines kleinen Vermögens schützt. Auch wenn die Englischkenntnisse, selbst unter jungen Menschen, erstaunlich gering für eine führende Industrienation sind, gibt es immer das Bestreben, die Bedürfnisse des Besuchers zu erfassen und ihnen gerecht zu werden.

Um Japan kennenzulernen, muss man Tokio unbedingt verlassen. Dazu ist das viel gerühmte Schnellzugnetz des Shinkansen perfekt geeignet. Mit durchgängig 270 km/h geht es durch die erstaunlich hügelige Landschaft. Für Touristen, die mehr vom Land sehen wollen, gibt es einen sehr günstigen Wochenpass, den man aber bereits vor der Einreise kaufen muss, weil er in Japan selbst nicht verfügbar ist. Die Züge bestechen durch ihre Pünktlichkeit und eine Frequenz mit zum Teil wenigen Minuten Abstand. Design und fehlendes WiFi sind bedauerliche Mängel. In den Zügen existieren Raucherbereiche, was umso erstaunlicher ist, da rauchen auf der Straße den resoluten Verweis eines Einwohners nach sich ziehen kann. Rauchen ist nur neben Zigarettenautomaten erlaubt, an denen aus Gründen der Sauberkeit auch gleich ein Aschenbecher angekettet ist. Und natürlich an den ausgewiesenen Raucherzonen, die Erinnerungen an konspirative Schulhofecken aufleben lassen.

Nur gut zwei Stunden von Tokio mit dem Schnellzug entfernt liegt die alte Kaiserstadt Kyoto. Der US-Kriegsminister hatte die Stadt, die ganz oben auf der Liste für den Abwurf einer Atombombe stand, besucht und durch sein Veto verhindert, dass sie zerstört wurde. Daher besitzt sie mehr ursprüngliche Bausubstanz als andere Städte. Die Studentenstadt wird vom Fluss Kamo durchschnitten, was auf einer Uferseite die einmalige Situation von nebeneinander aufgereihten Restaurants an einer grünen Promenade schafft. Unweit von dort befindet sich der Bezirk Gion, der durch überwiegend zweistöckige Bebauung im traditionellen Stil geprägt ist. Noch pittoresker ist der sich östlich anschließende Hügel Higashiyama, auf dem sich Parks, Tempel, Teehäuser und Kunsthandwerk abwechseln. Von dort erreicht man zu Fuß den zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden Kiyomizu-dera-Tempel, der ohne einen einzigen Nagel errichtet worden sein soll. Leider wird er noch bis 2019 restauriert und ist zurzeit nicht zugänglich.

 

Auf dem Weg zwischen Tokio und Kyoto sollte man stoppen, um das Kurobe-Tal zu besuchen, das zu einem der tiefsten des Landes gehört und von heißen Quellen durchzogen ist. Höhepunkt ist die Kurobe Gorge Railway, eine Bahnstrecke, die ursprünglich in Betrieb genommen wurde, um den nahe liegenden Damm zu bauen. Der mit offenen Aussichtswagen versehene Zug zieht während achtzig Minuten seinen Weg über zwanzig Brücken und bietet fantastische Panoramen und im Herbst eine unendliche Farbenpracht des Waldes. Für dieses Erlebnis sollte zwingend ein Tag einkalkuliert werden, da von Unazuki Onsen nach Keyakidaira nur wieder die gleiche Strecke zurück genommen werden kann. Allerdings kann man an einzelnen Stationen aussteigen und auch vor Ort ein Hotel nehmen.

Japan ist berühmt für seine Gärten und Landschaftsparks, selbst wenn sich das deutsche Ideal eher in unberührter Natur wiederfindet. In jahrzehntelanger Pflege werden die Bäume so beschnitten, dass auf möglichst geringer Höhe maximal ausladende Äste wachsen, ähnlich wie auch bei der Miniaturausgabe, den Bonsais. Jede größere Stadt kann mit solchen Parks aufwarten.

 

Am südlichen Ende der Hauptinsel Honshu befindet sich auf einer kleinen Halbinsel vor der Hafenstadt Kagoshima einer der aktivsten Vulkane Japans. Der Sakurajima lässt sich nach einer kurzen Fährfahrt sehr gut mit dem Rad umrunden. Zum Gipfel sollten jedoch Touren gebucht werden. In dieser Region des Landes erhält man einen Eindruck von der landschaftlichen Vielfalt Japans. Palmen und exotische Schmetterlinge prägen das Bild und erlauben einen Strandurlaub an einer der zahllosen Buchten.

 

Japan, das verheißt nicht nur gewärmte Toilettensitze und Algen-Eis mit Grüntee-Sahne, sondern auch mit Vogelgezwitscher singende Ampeln, doch vor allem beeindruckende Höflichkeit und Disziplin. /// www.japan-guide.com

 

Text: Olaf Alp / Fotos: Hendrik Techel

7. September 2019 Travel m #56 zum mate.style.lab