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GO FOR GOLD
„Als Leistungssportler muss er auch mal seine Beine
hochlegen und einfach nur mal die Glotze anmachen.“
3. Dezember 2008

GO FOR GOLD

Er ist zwanzig, lebt in Sydney und hat einen Freund, der Lachlan heißt. Schade eigentlich, aber die Besten sind ja bekanntlich schnell vergriffen. Matt liebt die Simpsons und natürlich „Queer as Folk“. Kein Wunder, als Leistungssportler muss er auch mal seine Beine hochlegen und einfach nur mal die Glotze anmachen. Das hat er sich auch richtig verdient, denn dieses Jahr lief für den begnadeten australischen Kunstspringer in der Tat fantastisch. Als Kind hat er seine Zukunft nie im Sport gesehen. Er selbst fand sich zu unsportlich. Stattdessen ließ er sich lieber mit 14 die Zunge piercen. Das rebellische Statement trägt er immer noch, schließlich stört es nicht beim Medaillengewinnen. Manche bezeichnen ihn gerne als „unkonventionell“. Gut so, denn Matthew Mitcham holt trotzdem oder gerade deswegen seine Goldmedaillen – wie gerade bei den Olympischen Spielen in Peking als erster geouteter Olympionike überhaupt!

Anfang des Jahres, im Januar, landete er seinen ersten Riesen-Coup bei den australischen Meisterschaften. Als erster Australier überhaupt ersprang sich Matt gleich drei Titel: vom Einer, Dreier und Zehner. Dann kamen die Weltmeisterschaften in Peking im Februar. Hier reichte es nur für Platz fünf. Doch dann ging es im Mai zum USA Grand Prix in Fort Lauderdale, wo er sich sensationell den ersten Platz vom 10-Meter-Turm holte. Aber der absolute Höhepunkt sollte noch folgen: Sein Debüt bei den Olympischen Spielen in Peking. Sein letzter Sprung vom 10-Meter-Turm war der am höchsten bewertete Sprung in der olympischen Geschichte. Und dann kam die Erlösung: die Goldmedaille! Der Weg bis dahin war steinig. „Zurückzukommen und all das zu tun, was ich tat, hatte nur zum Ziel, eine olympische Goldmedaille zu gewinnen. An jedem einzelnen Tag, an dem ich trainiert habe, zweimal täglich, elf Einheiten oder dreißig Stunden die Woche – und vor jedem einzelnen Sprung – habe ich zu mir gesagt: ‚Ich will olympisches Gold.‘“ Und es hat sich gelohnt, sagte der überglückliche Matthew kurz nach seinem Triumph.

 

DER SPORT

Entdeckt wurde Matt im Alter von elf Jahren, als er in einem benachbarten Schwimmbad rumtobte. Ein Trainer sah ihn damals und erkannte sofort das Potenzial in ihm. Eigentlich wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass er schon vorher nicht nur leidenschaftlicher Trampolinspringer war, sondern auch noch Junior-Weltmeister in dieser Disziplin. Das Kunstspringen war also eine konsequente Weiterentwicklung seiner Fähigkeiten. Doch so glatt wie es scheint lief es nicht die ganze Zeit. 2006 verabschiedete sich der damals gerade 18-Jährige vom Wettkampfsport und nahm eine Auszeit. Völlig ausgebrannt und erschöpft von dem jahrelangen, rigiden Trainingsprogramm des australischen Teams musste er wieder neue Kraft schöpfen und die Lust aufs Springen wiederentdecken. Es hat ein gutes Jahr gedauert, bis er auf den mexikanischen Trainer Chava Sobrino in Sydney traf. Dessen lockere und entspannte Haltung harmonierte bestens mit Matt, was ihm zu neuen Höhenflügen verhalf. Und 2008 durfte Matt endlich die Früchte seiner jahrelangen harten Arbeit ernten.

 

DAS OUTING

Für weltweites Aufsehen sorgte jedoch etwas ganz anderes: sein Coming-out in den Medien. Als er im Sydney Morning Herald offen über seine Sexualität sprach, brach er ein immer noch vorhandenes Tabu der Sportwelt. „Für mich ist das keine große Sache“, sagt er. „Es ist ja nicht so, dass ich jetzt eine andere Person geworden bin. Ich war ja nicht hetero vorher. Also hat sich für mich eigentlich nichts geändert.“ Sein richtiges Coming-out hatte er schon vor Jahren mit 14. Und weder für seine Mutter noch für seine Freunde war das ein großes Thema – so what? Für den riesigen Medienrummel war eine ziemlich harmlose Interviewfrage des HERALD verantwortlich: „Mit wem wohnst du zusammen?“, wollte die Journalistin wissen. „Mit meinem Partner Lachlan“, war seine Antwort. Natürlich ist er sich darüber bewusst, dass es für viele immer noch ein großes Thema ist und dass er auch eine Vorbildfunktion für junge Männer hat. „Wenn jemand zu dir aufschaut, bist du ein Vorbild. Und das okay für mich. Ich hoffe nur, dass ich meiner Rolle gerecht werde, denn ich bin schließlich nicht perfekt!“

 

Matt Mitcham bringt beste Voraussetzungen für eine Vorbildfunktion mit: Er ist erfolgreich, er ist attraktiv und er hat keine Angst davor, offen über die Belange der Community zu sprechen. So kritisierte er zum Beispiel den australischen Premierminister für seine Haltung gegenüber der gleichgeschlechtlichen Ehe: „Kevin Rudds Ansicht, die Ehe wäre nur etwas zwischen Mann und Frau, ist ganz schön engstirnig. Während der Wahlen hat er immer versucht, jung und cool rüberzukommen, doch seine Meinung zur Homo-Ehe lässt ihn ziemlich altmodisch erscheinen.“ Bleibt nur zu hoffen, dass Matthew sich sein freches Mundwerk nicht verbieten lässt und weiterhin seine Vorbildrolle so grandios erfüllt. ///

 

Text: Martin Lewicki / Foto: John McRae

3. Dezember 2008 Body m #24 zum mate.style.lab