FLIEGEN OHNE FENSTER
Das Flugzeug – das sicherste Verkehrsmittel der Welt! Das war nicht immer so. Vor gerade einmal einhundert Jahren noch war das Fliegen eine waghalsige Unternehmung und in etwa so sicher wie ein Sprung in ein Raubtiergehege. Zwar wurden 1915 bereits erste Gerätschaften getestet, die zum Beispiel die Flugbahn nach einem Richtungswechsel korrigierten, der erste Fallschirm war bereits entworfen und sogar ein brauchbares Funksystem wurde in ersten Maschinen installiert – echte Sicherheitsstandards, wie wir sie heute kennen, gab es allerdings nicht. 1915 ist außerdem das Jahr, in dem William E. Boeing erstmals Interesse für die Luftfahrt entwickelt. Er soll der erfolgreichste Flugzeugbauer der Welt werden. Gute zwanzig Jahre später entwickelt die Lockheed Aircraft Corporation die erste Druckkabine. 1947 durchbrach der Amerikaner Chuck Yeager die Schallmauer. Bis heute erlebte die Luftfahrt zahllose Neuerungen und Misserfolge, und noch immer arbeiten einfallsreiche Ingenieure daran, Flugzeuge sicherer, komfortabler, aber auch aufregender zu gestalten.
113 Jahre nach dem ersten motorgetriebenem Flug ist das Flugzeug in Aussehen und Ausstattung kaum wiederzuerkennen. Der Wright Flyer des gleichnamigen Brüdergespanns schaffte keine vierzig Meter. Heute fliegen riesige Passagierflugzeuge von einem Ende der Erde zum anderen. Innovationen in Konstruktion und Material machen das Reisen mit dem Flugzeug so günstig wie nie zuvor, und Tüftler weltweit suchen bereits nach neuen Lösungen, die Maschinen leichter zu machen und damit den Kerosinverbrauch zu reduzieren. Eine Möglichkeit ist der völlige Verzicht auf Fenster in Flugzeugen. Im Cargo- und Brieftransport ist die fensterlose Kabine bereits Standard, denn sie spart enorm viel Gewicht.
Das Fliegen in Höhen von 10.000 Metern oder höher verlangt nach extrem dicken Scheiben. Jedes Gramm mehr an Bord bedeutet einen höheren Brennstoffverbrauch und verschlechtert so die CO2-Bilanz eines Fluges. Jedes gesparte Prozent Gewicht entsprecht 0,75 Prozent an Kerosin. Das Centre for Process Innovation (CPI) in London will eine Alternative zu dem typischen Plexiglasguckloch gefunden haben: OLEDs.
Die organischen Leuchtdioden können mittlerweile auf federleichte Screens aufgetragen werden, die nicht dicker als einen Millimeter sind. OLEDs benötigen weniger Energie als herkömmliche LEDs und produzieren nur wenig Wärme. Einmal an den Kabinenwänden angebracht, könnten die Bildschirme die Umgebung wiedergeben, aber auch das In-flight Entertainment abspielen oder zum Beispiel die Speise- und Getränkekarte anzeigen. Die französischen Designer von Technicon Design haben ganz ähnliche Pläne für die Flugzeugkabine der Zukunft. Direktor Gareth Davies: „Ich habe mein Team gebeten, einen Jet zu designen, der mit Konventionen bricht. Während sich die eine Hälfte mit der Außenhaut des Jets beschäftigte, sollte sich der Rest über ein innovatives Konzept für das Innenleben des Flugzeugs Gedanken machen. Wir sind schnell übereingekommen, dass das Weglassen der Fenster und das Ersetzen dieser durch Bildschirme der nächste logische Schritt sei. (…) Der Verzicht auf Fenster sorgt nicht nur für eine Gewichtsreduzierung und entkompliziert den Bau eines Flugzeugs, es eröffnet außerdem völlig neue Möglichkeiten der Kabinengestaltung. (…) Ein Großteil der Technologie, die für einen solchen Jet benötigt wird, existiert bereits heute.“
Die Designer und Ingenieure von CPI und Technicon Design sind sich sicher, dass die ersten Flugzeuge mit digitalem Rundumblick nicht vor 2035 abheben werden. Dann wird sich auch zeigen, ob die Kerosinersparnis an den Passagier weitergegeben wird oder ob der für das Flugerlebnis 2.0 sogar noch drauf zahlen muss. /// www.uk-cpi.com / www.technicondesign.com
Text: Felix Just
Schlagworte: Feature, Fliegen, LEDs, London, Travel
Hintergrundbild: © Technicon