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WENN DOPING
ZUM HOBBY WIRD
„Man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass Testosteron nur in Verbindung mit sehr hartem Training und einem disziplinierten Lebensstil den gewünschten Erfolg bringt.“
30. Juni 2016

WENN DOPING ZUM HOBBY WIRD

Jeder Körper hat eine maximale Leistungsgrenze. Das merkt man im Fitnessstudio spätestens dann, wenn die Leistung stagniert und Wochen oder Monate lang die gleichen Gewichte gehoben werden. Während Anfänger einen wahren Leistungsboom mit signifikanter körperlicher Veränderung wahrnehmen, leiden fortgeschrittene Sportler unter Frust, denn weder ihre Leistung noch ihr Körper zeigen Entwicklungspotenzial. Doch weil sich immer weniger mit ihren naturgegebenen Grenzen abfinden möchten, erobert Doping die breite Masse der Fitnessjunkies.

 

DOPING, EIN MASSENPHÄNOMEN

Verschiedene Studien haben ergeben, dass etwa 10 bis 25 Prozent der Freizeitsportler im Fitnessstudio anabole Steroide verwenden, so genannte Anabolika. Wirklich überraschend ist das nicht, wenn man sein Fitnessstudio etwas genauer unter die Lupe nimmt. Obwohl man genauso oft und hart trainiert, wie viele andere Männer, scheinen die Muskeln bei einigen regelrecht zu explodieren und ihre Leistungsfähigkeit atemberaubend anzusteigen. Das setzt nicht nur dem eigenen Ego zu, sondern macht nachdenklich: Ernähre ich mich falsch? Habe ich einen langsamen Stoffwechsel? Sind die Gene schuld? Was mache ich falsch? Und was haben die, was ich nicht habe?

 

Die Antwort auf die eigenen Selbstzweifel ist meistens banal: die anderen spritzen. Man kann es zwar nicht verallgemeinern, aber ein unnatürlich wirkender Leistungs- und Muskelzuwachs entsteht meistens auf unnatürliche Weise. Während Proteinshakes nach dem Training schon selbstverständlich sind oder Kreatin-Kuren dabei helfen, sich aufzublasen (Kreatin steigert temporär die Wassereinlagerung in den Muskeln und lässt den Körper dadurch aufgeschwemmt wirken) bedeutet die Substitution mit anabolen Substanzen einen tiefen Eingriff in den sensiblen Hormonhaushalt des Körpers. Neben vielen im Labor hergestellten Anabolika ist Testosteron Enantat das bekannteste und wohl am häufigsten verwendete Dopingmittel in der Sportlerszene. Es gleicht in seiner Struktur dem körpereigenen Hormon Testosteron und gilt dadurch als besonders gut verträglich mit überschaubaren Nebenwirkungen und Risiken.

 

ROSIGE THEORIE

Auf den ersten Blick ist das männliche Hormon ein wahres Wundermittel: Es verleiht mehr Kraft, mehr Energie, beschleunigt den Stoffwechsel, das Muskelwachstum, die Fettverbrennung, macht Lust auf Sport und körperliche Verausgabung, lässt die eigenen Leistungsgrenzen sprengen und verleiht sogar mehr sexuelle Potenz. All das führt zu einem gesteigerten Ego, größerem Selbstbewusstsein und allgemeiner Zufriedenheit mit sich selbst. Das ist allerdings blanke Theorie, denn die Wirklichkeit sieht komplett anders aus.

 

Eine Testosteron-Substitution muss heutzutage nicht mehr illegal mit auf dem Schwarzmarkt gekauften, dubiosen Präparaten erfolgen. Es gibt Ärzte, die Hormon-Therapien anbieten, natürlich unter der Voraussetzung eines attestierten Testosteron-Mangels. Auf Rezept ausgestellt kann das Testosteron-Präparat ganz legal aus der Apotheke bezogen werden. Testosteron Depot 250 mg in 5 mal 1 ml Spritzampullen beispielsweise liegt preislich je nach Hersteller bei etwa 40 Euro. Bei einer vorsichtigen Dosierung von einer Ampulle (250 mg) pro Woche reicht es für einen Monat.

 

Vor einer Testosteron-Substitution ist eine Prostatauntersuchung unbedingt notwendig, da die Entwicklung einer bereits vorhandenen gutartigen Prostatavergrößerung oder eines bevorstehenden Prostatakrebses beschleunigt werden können. Dabei reicht als Indiz meistens der PSA-Wert (prostataspezifisches Antigen) im Blut. Dieser sollte deutlich unter 4,0 ng/ml liegen.

 

DAS DOSIERUNGS-DILEMMA

Eine Testosteron-Substitution ist erst ab 250 mg pro Woche sinnvoll, weil der Körper aufhört eigenes Testosteron zu produzieren, sobald es von außen zugeführt wird. Eine Injektion muss also den natürlichen Hormonspiegel ausgleichen und noch genug Testosteron bereitstellen, um eine anabole Wirkung zu erreichen. Das Einstellen der körpereigenen Hormonproduktion quittiert der Körper zunächst mit einem Leistungsrückgang. Deswegen empfiehlt sich ein sogenannter „Frontload“, bei dem anfangs die doppelte Dosis, also 500 mg, gespritzt wird, um einem Leistungseinbruch vorzubeugen. Was dann folgt, entpuppt sich als wahres Dosierungs-Dilemma und als gefährliches Spiel mit dem eigenen Körper. Eine vernünftige Dosierung von 250 mg pro Woche minimiert zwar die Risiken und Nebenwirkungen, jedoch auch den Leistungszuwachs. 500 bis 1.000 mg pro Woche bewirken wiederum einen Leistungsboom, allerdings auch einen enormen Risikoanstieg von dauerhaften Schäden, denn für diese körperlichen Belastungen wurde der Körper nicht ausgelegt. Gelenk- und Rückenschmerzen, Muskelzittern, Herzrasen und ein Pochen im Kopf sowie gesteigerte Aggressivität und Reizbarkeit sind die Folgen. Akne auf dem Rücken, der Brust und Gesicht können ebenso auftreten wie beschleunigter Kopfhaar-Ausfall bei genetischer Disposition. Zudem wird mit einer hohen Dosierung das Hormongleichgewicht extrem gestört, wodurch eine deutliche Vermännlichung eintreten kann: stärkere Körperbehaarung, tiefere Stimme, stinkender Körpergeruch. Wer mit seinem Körper nicht grob fahrlässig umgehen möchte, der substituiert 250 mg pro Woche über einen relativ langen Zeitraum von drei bis sechs Monaten, natürlich unter ärztlicher Aufsicht. Nach solch einer langen Zufuhr kann die Muskelmasse besser konserviert werden, behauptet die Theorie. Man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass Testosteron nur in Verbindung mit sehr hartem Training und einem disziplinierten Lebensstil den gewünschten Erfolg bringt.

 

DIE ERNÜCHTERNDE WAHRHEIT

Das entscheidende Erfolgsgeheimnis heißt allerdings nicht Doping, sondern Motivation. Fehlt diese oder ist sie nicht groß genug, hilft auch eine Testosteron-Substitution kaum, um über seine Grenzen hinauszuwachsen. Diese Erkenntnis lässt den Umkehrschluss zu, dass man mit einem normalen Testosteron-Spiegel, einer extrem hohen Motivation und dem Befolgen der Fitness-Regeln ebenso deutlich sichtbare Erfolge erzielen kann. Das führt allerdings die Einnahme von Testosteron ad absurdum, vor allem wenn man die gravierenden psychischen Nachteile betrachtet, die selbst eine sogenannte „vernünftige“ Dosierung mit sich bringt. Durch die Substitution schrumpfen die Hoden auf fast präpubertäre Größe (Hodenatrophie). Das verlangt umso mehr Größe beim Selbstbewusstsein unter der Dusche im Fitnessstudio und noch mehr im Bett. Außerdem ist die Spermaproduktion gestört, wodurch oftmals nicht viel mehr als ein symbolischer Tropfen den Höhepunkt begießt. Zudem bleibt eine unterschwellige Angst, die Hoden würden später nicht mehr zur Ursprungsgröße zurückfinden, was durchaus passieren kann.

 

Die Testosteron-Substitution verleiht ein unnatürliches Körpergefühl, weil das Hormon nicht so kontinuierlich zur Verfügung steht wie sonst. Mal fühlt man sich mehr, mal weniger aufgeputscht, der Hormonhaushalt ist permanent im Ungleichgewicht. Das Wohlbefinden wird abhängig von der zugeführten Substanz, es entsteht eine psychische Abhängigkeit verbunden mit der Angst-Frage: „Was passiert danach?“

 

Die Angst vor einem Leistungstief und Muskelverlust nach dem Absetzten wird immer präsenter, je länger die Substitution dauert. Leider braucht der Körper etwa zwei Wochen, um seine Testosteron-Produktion hochzufahren. Das bedeutet zwangsläufig einen Leistungsrückgang und Muskelabbau, was in eine antriebslose, depressive Stimmung münden kann. Ähnlich verhält es sich mit dem Sexualleben. Testosteron steigert nicht unbedingt die Lust auf Sex, dafür aber die Potenz. Besonders die hohe Standfestigkeit fühlt sich unnatürlich an und lässt daran zweifeln, ob wirklich der Partner zu dieser Erregung beiträgt. Außerdem ist die Angst da, seinen Partner ohne Testosteron-Zufuhr von außen nicht mehr im gleichen Maße beglücken zu können. Anstatt das Ego zu stärken, kann die Substitution also genau das Gegenteil bewirken: Sie gibt einem das Gefühl, das hohe Leistungsniveau nicht aus eigener Kraft aufrechterhalten zu können, sondern nur temporär unter der Einnahme eines risikoreichen Mittels.

 

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass eine Testosteron-Substitution nur unter optimalen Bedingungen gute Resultate ermöglicht, die jedoch kaum im Verhältnis zu den vielen Nebenwirkungen stehen. Wer sein Leben nicht nach einem strikten Trainings- und Ernährungsplan ausrichten kann und die Substitution vorsichtig dosiert, wird nur ein enttäuschendes Resultat erreichen. Es ist eben nicht so einfach, die Natur auszutricksen. ///

 

Text: Martin Lewicki

30. Juni 2016 Body m #24 zum mate.style.lab