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WANN IST
EIN MANN EIN MANN?
Culture
7. Dezember 2017

WANN IST EIN MANN EIN MANN?

In einer Zeit, in der Männerhaare so ziemlich alles an Verwandlung durchgemacht haben, die man sich vorstellen kann – bunt gefärbt, streng nach hinten gegelt oder Vokuhila –, ist es immer noch ein ziemlicher Skandal, als Mann lange Haare zu tragen. Ich spreche nicht von dem Typ Mann, an dem sowieso alles behaart ist und man nicht weiß, wo der Vollbart aufhört und die Matte anfängt, sondern wirklich von den Haaren, die man auf dem Kopf trägt.

Seit meinen Teenie-Tagen bin ich fasziniert von langen Haaren. Ich wollte immer aussehen wie ein Rockstar und quälte mich durch jede noch so lästige Übergangslänge. Je länger die Haare wurden, desto mehr lernte ich über unsere Gesellschaft. Ein langhaariger Mann wird nämlich nicht automatisch als ein solcher angesehen, und statt des Rockstars, den ich darstellen wollte, sehen viele in mir einen Jungen, der sich nicht entscheiden kann, ob er lieber ein Mädchen wäre.

 

Manchmal fühle ich mich, als lebte ich in den konservativen 1950er-Jahren. Wenn ich überlege, in was für verrückte Situationen mich meine Haarpracht schon gebracht hat … Kein Tag vergeht ohne Kommentar zu meinen Haaren, sei es im Internet auf Instagram oder im wahren Leben in der Bahn, wenn Kinder ihre Eltern fragen, wieso der Junge eine Perücke trägt. Entweder man liebt sie oder hasst sie, so ist das mit langen Haaren. Manchmal ziehen sogar Fremde ungefragt daran, weil sie wissen wollen, ob es wirklich mein Haar ist. Nicht mal etwas so Banales wie der Toilettengang kann ungestört vollzogen werden. Jeder Mann, der reinkommt, geht erst einmal wieder raus, um sich zu vergewissern, ob er wirklich in der richtigen Toilette gelandet ist. Ich wurde sogar schon darauf hingewiesen, dass es sich um ein Männerklo handelt. Die Tatsache, dass ich vielleicht sogar unrasiert bin und einen Bart trage, scheint irrelevant zu sein. Alles was zählt, sind die Haare auf dem Kopf!

Wie kommt es aber, dass lange Haare automatisch mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden? Wer jetzt denkt, solche Sachen passieren mir nur in spießigen ländlichen Vorstadtidyllen, der irrt. Selbst für die liberalste Schwulenbar in Berlin-Mitte ist ein langhaariger Mann manchmal nur schwer zu verkraften. Ein Freund von mir bezeichnet meine Haare sogar als „Cockblocker“, und auch auf der Toilette einer Schwulenbar darf ich mir dann genau dieselben Sprüche anhören wie überall sonst. Zugegeben, mein ganzes Auftreten ist sowieso androgyner. Ich stelle mir die Frage, was denn einen Mann männlich macht? Ist Männlichkeit wirklich an der Frisur zu messen? Ist jeder Kurzhaarschnitt mehr Mann, als ich es bin? Für mich sind lange Haare mehr als ein Trend. Sie sind eine Lebenseinstellung, und so dramatisch sich das anhören mag, so ehrlich ist es: Meine Haare sind wie ein Prüfstein. Sie mögen nicht nur viel über mich verraten. Die Art und Weise, wie Menschen darauf reagieren, zeigt mir auch, wer zu mir passt und wer noch in Pleasantville lebt.

 

Ist es den Ärger denn wert? Die Antwort lautet ja! Man muss kein Oscarpreisträger wie Jared Leto sein, um als langhaariger Mann eine gute Figur zu machen. Lange Haare machen aus einem Mann einen Rockstar. Egal was man trägt – sei es eine Lederjacke oder ein Anzug –, lange Haare werten den Look auf und lassen durchschimmern, das man unangepasst ist. Man braucht kein extravagantes Outfit, man hat seine Haare. Jedes Mal, wenn ein Windstoß kommt und ich spüre, wie mir die Strähnen ums Gesicht fliegen, fühlt sich das toll und lebendig an. Man bewegt sich anders und hat das Gefühl, einen weiteren Körperteil geschenkt bekommen zu haben. Wenn man etwas kreativ ist, kann man jeden Tag anders aussehen. Und wenn das alles nichts bringt, dann zählt vielleicht das: Lange Haare sind sexy. Punkt.

 

Wer schon mal etwas mit einem langhaarigen Mann hatte, der ist sich auch der vielen Vorteile bewusst, die sie an dem Ort mit sich bringen, wo man sowieso jede gesellschaftliche Konvention hinter sich lassen sollte, nämlich im Schlafzimmer. Und irgendwie ist es doch schön, dass in einer Zeit, in der man scheinbar alles darf, so etwas Einfaches und Natürliches wie lange Haare zur Kontroverse werden.

 

RICCARDO SIMONETTI

In Bad Reichenall geboren und aufgewachsen, gründete Riccardo Simonetti den Blog THE FABULOUS LIFE OF RICCI aus Spaß an Mode, aber auch, um sein Leben als Model, Schauspieler, Kolumnist und Tagträumer zu dokumentieren. Nach seinem Umzug von München nach Berlin zählt er mittlerweile zu den bekanntesten männlichen Bloggern Deutschlands und fand bereits Erwähnung in der Süddeutschen Zeitung, bei Spiegel-Online und in zahlreichen anderen Medien. /// www.fabulousricci.com

 

Text: Riccardo Simonetti / Fotos: Joseph Wolfgang Ohlert

7. Dezember 2017 Culture m #50 zum mate.style.lab