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TOD DES MODEDIKTATS
„„Man ist nur so gut wie die nächste Kollektion.“
12. April 2012

TOD DES MODEDIKTATS

Auf simple weise elegant, anspruchsvoll, stets mit klassischen Details versehen, aber vor allem in höchstem Maße tragbar – nur einige wenige Attribute, mit denen Modekenner, die Arbeit des belgischen Designers Kris van Assche beschreiben. Über mehrere Kollektionen hinweg hat er mit Mode für sein eigenes Label und Dior Homme bewiesen, dass er sich den Platz im Modeolymp redlich verdient hat. Wir haben uns auf den Weg nach Paris gemacht, um mit ihm persönlich über seine Schnitte zu sprechen. Sein Büro in der Nähe des Place de la République erinnert eher an ein Loft: Die weitläufigen Räumlichkeiten sind ganz in Weiß gehalten und verbreiten kalten Industriecharme. Berge von Büchern stehen überall herum, an der Wand ein Moodboard für die Winterkollektion und ein Gemälde der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo, die er seit jeher bewundert.

 

Van Assche sieht unverschämt gut aus für jemanden, der gerade zwei große Modenschauen binnen weniger Tagen hinter sich gebracht hat. Eine davon für sein eigenes Label, die andere für Dior Homme. Dabei ist es schon eine Leistung, zwei unterschiedliche Visionen zu realisieren und dauerhaften Erfolg mit beiden zu feiern. Seine Präsentationen in den letzten Tagen haben ihm begeisterte Kritiken eingebracht. „Am Anfang haben mir Negativschlagzeilen noch so manch schlaflose Nacht bereitet“, gibt van Assche zu, „mittlerweile juckt es mich aber nur noch wenig. Ich muss allerdings zugeben, dass es mich noch immer sehr freut, wenn Bernard Arnault (eines der ganz großen Tiere der LVMH-Gruppe und Eigentümer von Dior, Anm. d. Red,) nach einer Show auftaucht, um mir zu gratulieren.“

SINKENDE SCHIFFE ERLEICHTERN DIE ARBEIT

1998 machte Kris van Assche seinen Abschluss an der Royal Academy of Fine Arts
in Antwerpen. Gleich darauf heuerte bei
Hedi Slimane in Paris an, der zu dieser Zeit noch die Männerlinie von Yves Saint Laurent verantwortete. Als der Meister zu Dior überwechselte, folgte ihm der junge van Assche. Schon bald kamen Unstimmigkeiten zwischen den beiden auf und so verließ van Assche Dior 2004 und gründete sein eigenes Label, das er im Januar 2005 der Welt präsentieren sollte. Als Slimane ein paar Jahre später selbst entschied, die Luxusmarke hinter sich zu lassen, fragte Dior bei van Assche an, die Nachfolge anzutreten. Und diese Verbindung sollte dauerhaft sein. Zu Beginn war es für den Belgier allerdings nicht ganz einfach: Slimanes geschmeidige Schnitte und seine Vorstellungen vom gut angezogenen Mann haben Eindruck hinter lassen, und es galt nun, in seine zugegeben verdammt großen Fußstapfen zu treten. Van Assche dachte aber gar nicht daran, das Ideal des spindeldürren Mannes weiter zu verfolgen. Er wollte tragbare Mode schaffen für Männer mit gesundem Körperbau. „Als ich Dior zusagte, wusste ich, dass es die Hölle würde. Es ist nahezu unmöglich, eine Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben, die ein anderer begonnen hat. Normalerweise folgen Designer dem Ruf eines sinkenden Schiffes oder zumindest dem eines Modehauses, um das es nicht gut bestellt ist. Dann ist es einfach: Man setzt sich ans Zeichenbrett und fängt ganz von vorne an. In meinem Fall aber wusste ich, dass es eine harte Nuss zu knacken gab, eine verdammt harte. Jetzt läuft es gut für Dior und ich kann nur sagen: Wow!“

 

Seinen Vorliebe für Tragbares hat sich schon in seinen Entwürfen als Student gezeigt. Seine Professoren ermutigten ihn oft, auch einmal durchzudrehen, etwas zu wagen. Van Assche aber wollte davon nichts hören und blieb seinem Stil treu. „Man kann die Leute leicht mit etwas Unmöglichem begeistern, mit untragbaren Schnitten. Aber du kannst mir glauben, wenn ich sage, einen interessanten Anzug zu kreieren ist tausend Mal schwerer. Und nur fürs Protokoll: Ich selbst habe nicht das Gefühl, dass ich mich in meinen Möglichkeiten beschränke, nur weil ich Mode schaffe, die man tatsächlich auch anziehen kann.“ Van Assche sagt von sich selbst, dass er das macht, was er am besten könne. „Ich habe mir von allen Seiten Kritik anhören müssen. Nach acht Jahren, in denen ich nun schon mein eigenes Label betreibe, und fünf Jahren bei Dior, ist mir klar geworden, dass ich bei dem bleiben sollte, was mir liegt – und das ist kreative und tragbare Mode. Es ist noch immer eine anspruchsvolle Aufgabe. Nach all den weißen Hemden, die die Welt schon gesehen hat, muss man sich die Frage stellen: wieso sollte jemand gerade meine kaufen?“

 

CASTING AUF DER STRASSE

Van Assches Kreationen wollen stets nur eines: den Träger noch besser aussehen lassen. Dies gelingt ihm, indem er sich vor allem klassischer Formen bedient. „Als ich bei Dior anfing, kam ich gerade aus dem Urlaub. Ich war in Buenos Aires und sehr beeindruckt von dem Stolz der Männer dort. Zu diesem Zeitpunkt waren gerade besonders dünne, fast schon krank aussehende Männer in. Rock ’n’ Roll erlebte eine Renaissance, ich hatte es satt. In Buenos Aires veranstaltete ich deshalb Castings auf der Straße.

 

Später wendete sich das Idealbild des Mannes wieder hin zu einem gesundem, athletischem Körper. Das hatten zum Glück auch
die Modelagenturen verstanden. Ich muss also nicht länger nach Buenos Aires fliegen, sondern finde Inspiration in New York und vor allem in Los Angeles.“ Jeder neuen Kollektion geht ein drei- bis viertägiger Trip voraus. „Ich laufe dann einfach in der Gegend herum, besuche Galerien, schaue mich in Buchläden um oder beobachte das Leben um mich herum. Ich lasse meine letzte Kollektion Revue passieren, überlege, was man hätte besser machen können, was gut daran war und was der nächste Trend sein könnte. Den roten Faden für die kommende Saison zu finden und aufzunehmen, ist mit Sicherheit der spannendste Aspekt bei einer neuen Kollektion. Am Ende der Reise steht immer die Modenschau mit dem Besten aus dem Ideensammelsurium – im Idealfall mit einer Riege von großartigen Models. Leider sind es meist nur zwei oder drei Männer, mit denen ich vollkommen glücklich bin. Dann frage ich mich immer: ‚Warum können wir die anderen 25 nicht einfach aus ihnen klonen?“ (lacht)

 

BANKER BRAUCHEN KOMFORT

Die Quelle seiner Inspiration ist stets die gleiche: Van Assche jongliert nicht mit den Namen großer Künstler oder Architekten. Seine Muse ist die Mode selbst. „Natürlich lasse ich mich auch von Architektur, einem guten Buch oder einem tollen Foto inspirieren, aber ich funktioniere eigentlich ganz anders. Es ist mehr die Idee einer bestimmten Silhouette oder einer Attitüde, die mich antreibt. Ich entwerfe also nach einem viel lebensnäheren Motiv. Man muss sich nur einmal meine Kollektion für den kommenden Winter ansehen. Ich habe den blauen Kragen der Arbeiter mit dem weißen Kragen von Hemdträgern im Büro kombiniert. Entstanden ist ein Mix aus weißen Hemden und dicken Schals, die einen schützenden Charakter haben. Und sind wir einmal ehrlich: Heutzutage können unsere Banker etwas Komfort gut gebrauchen. Einen ähnlichen Trend sehe ich auch bei meinen Kollegen. Ich bin offensichtlich nicht der einzige, der Zeitung liest.“

 

Seinen eigenen Stil will van Assche nur wenig in seinen Kollektionen für Dior einbringen. Dries van Noten sagte einmal in einem Interview, man müsse sich selbst außen vor lassen, sonst würden die Kollektionen mit einem altern. Van Assche: „Ich designe für zwei Typen von Männern: Den Dior-Mann, der Eleganz und perfekte Handwerkskunst will, und den KVA-Mann, der so wie ich ist. Aber selbst Letzterer bekommt nicht meinen eigenen persönlichen Geschmack aufgedrückt. Ich versuche, mich so weit wie möglich von der Kollektion zu entfernen.“ Hat er denn nie Probleme, eine klare Linie zwischen den beiden Labels zu ziehen, wollen wir wissen? „Am Anfang ist es schon passiert, dass eine Idee die Kollektion gewechselt hat. Eine Gewohnheit, die ich ganz schnell wieder abgelegt habe.“

 

ZEIT IST ASSCHE

Van Assche ist ein viel beschäftigter Mann.
Er hat kaum Zeit, zwischen der einen und
der anderen Saison einmal durchzuatmen, geschweige denn die Seele baumeln zu lassen. „Sollte ich eine leere Seite in meinem Terminkalender haben, wird sie mein Sekretär finden und stopfen. Es gibt immer irgendjemanden, der mich sprechen will, Stoffe oder Farben auswählen
möchte. Ich war schon
immer gut organisiert,
deshalb stört es mich
nicht. Wenn ich einmal
alleine bin im Büro,
dann schließe ich die
Tür. Anders würde ich
nie etwas fertigstellen.“ Wenn er auf Reisen ist, kommt er zur Ruhe. „Diese drei, vier Tage können wahre Wunder wirken. Ich bin zwar de facto noch immer am Arbeiten, allerdings inkognito. Ich kann sehr gut abschalten. Nächste Woche werde ich am Strand von Rio liegen und du kannst mir glauben, ich werde meinen Spaß haben. Im August nehme ich mir immer drei ganze Wochen frei. Ein paar Freunde und ich mieten uns irgendwo – zum Beispiel in Griechenland – ein Ferienhaus und verbringen dort eine tolle Zeit. Ich verliere dabei kein Wort über irgendwelche Kollektionen. Es geht nur um gutes Essen, das Meer und den Strand. Viele meiner Freunde und auch mein Lebenspartner arbeiten in der Modebranche und genießen es sehr, sich über etwas anderes zu unterhalten.“ Van Assche lebt mittlerweile seit über 13 Jahren in Paris. Hat das seine Vision von Mode beeinflusst? Seine Antwort: ja und nein. Paris würde ihn zwar in seinem täglichen Leben ständig begegnen, schlägt sich aber nicht direkt in seinen Entwürfen nieder. Er könne sowieso überall leben. Los Angeles könne er sich gut vorstellen. Wohnungen und Besitztümer interessierten ihn nicht. Er lebt seit gerade einmal zweieinhalb Jahren in seinem jetzigen Apartment und ist schon wieder auf der Suche nach einer neuen Bleibe, einer mit Veranda. „Ich hänge nicht an Materiellem. Wenn ich umziehe, packe ich meine Fotos und meine Klamotten, und weg bin ich. Aber selbst meine Garderobe ist austauschbar. Im Moment suche ich nach einer Wohnung mit Terrasse. So kann ich draußen sein, ohne mein Apartment verlassen zu müssen. Ich habe viel zu selten Zeit, mal rauszugehen.“ Glücklicherweise kann van Assche noch relativ unbeobachtet durch die Straßen laufen. Man muss aber auch bedenken, dass man ihn bei Dior zu Beginn nicht ernst nahm. „Am Anfang verurteilten sie mich dafür, Altbewährtes nicht fortzuführen. Man sagte mir, ich solle mir eine Scheibe von John Galliano abschneiden. Das sagt heute natürlich niemand mehr.“ Zu dem Vorfall in einem Pariser Café, bei dem sich Galliano volltrunken zu antisemitischen Äußerungen hat hinreißen lassen, hält sich van Assche bedeckt: „Es
ist eine traurige Geschichte. Ich bin mir absolut sicher, dass Galliono kein Rassist ist. Allein der Gedanke ist lächerlich.“ Gallianos unrühmlicher Fall ist der beste Beweis dafür, dass es mit dem Erfolg schneller vorbei sein kann, als man auf der Überholspur glauben möchte. Van Assche selbst ist Realist: „Man ist nur so gut wie die nächste Kollektion.“ /// www.krisvanassche.com / www.dior.com

 

Text: Veerle Windels / Fotos: Gaetan Bernard