SCHWEIZ
Neben Flug- und Kreuzfahrt-Scham leiden immer mehr Urlauber unter einem schlechten Ski- und Snowboard-Gewissen. Damit ist für viele Wintersportgebiete die Angst vor der Klimakrise inzwischen ähnlich bedrohlich wie die Klimaerwärmung selbst. In der Schweiz hat sich eine Wintersportdestination deshalb vorgenommen, vom Klimasünder zum Produzenten grüner Energie zu werden.
In den letzten Jahren haben sich die ersten großen Schneefälle oft um mehrere Wochen nach hinten verschoben oder sind ganz ausgeblieben. Eine langfristige Buchung zählt nicht mehr nur für Tiefschnee-Fans als riskantes Unterfangen. Wie sehr sie den Schnee braucht, weiß die Gemeinde Laax im Schweizer Kanton Graubünden. Aber inzwischen hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Schnee Unterstützung braucht. Besonders offensichtlich ist das am höchsten Punkt des Skigebietes, dem Vorabgletscher. Vor zwanzig Jahren konnte man hier noch im Sommer Skifahren. Heute ist abzusehen, dass der Gletscher in den kommenden dreißig Jahren komplett verschwinden wird. Die internationale Politik bekämpft die Klimakrise vorwiegend mit Lippenbekenntnissen. Laax will einen echten Beitrag leisten und hat sich vorgenommen, in spätestens acht Jahren klimaneutral zu sein. Bereits seit 2008 werden alle Liftanlagen des Skigebietes mit Strom aus Schweizer Wasserkraft betrieben, die gesamte Destination bezieht heute ein Viertel ihres Energiebedarfs aus regenerativen Quellen. Vor allem Heizung und Verkehr verbrennen aber klimaschädliche Energieträger.
Dabei könnten die Gemeinden des Wintersportgebietes schon heute in etwa so viel Energie aus Wind-, Wasser-, Biogas- und Solaranlagen erzeugen, wie sie selbst verbrauchen. Zusätzlich ließe sich der Verbrauch bei Heizung und Mobilität mehr als halbieren. Gelingt der Destination ihr ehrgeiziges Unterfangen, würde sie bald mehr Energie erzeugen, als sie benötigt und damit zum ersten unabhängigen Winter-Resort der Welt werden. Ein schneller und großer Schritt in Richtung Klimaneutralität wäre eine autofreie Zone. Aber vor dem Zermatt-Modell schreckt man vorsichtshalber zurück. / www.laax.com
KUNSTSTÜCK
Zu den Posten mit großem Energiehunger zählt in Wintersportgebieten der technische Schnee, im Volksmund gern Kunstschnee genannt. Ein sparsamer Umgang mit dem Schnee reduziert deshalb den Energieverbrauch und damit den Ausstoß klimaschädlicher Gase. Im Skigebiet erfasst ein Schnee-Management-Tool aufgrund von Satelliten-Daten ständig, wie hoch die Schneedecke an den einzelnen Stellen der Pisten ist. Die Fahrer der Pistenraupen können auf einem Monitor verfolgen, wie viel Schnee sich unter Ihrem Fahrzeug befindet. Sie sehen auch, wie die Lage auf den folgenden Pistenabschnitten ist und können den Schnee entsprechend verteilen. So lässt sich der Einsatz von teurem und ineffizientem technischem Schnee um etwa sechzig Prozent reduzieren. Zumindest mittelfristig dürften die Pistenraupen das größte Umweltproblem bleiben. Im Skigebiet von Laax sind bis zu 27 Fahrzeuge an 120 Tagen oft für zehn Stunden oder länger im Einsatz. Mit einem Verbrauch von etwa 25 Litern Treibstoff pro Stunde.
WANDERUNG AM GRAND CANYON
Es dürfte ordentlich gerumst haben, als vor ungefähr 9.500 Jahren der größte bekannte Felssturz der Alpen zu Tal rauschte. Sieben Kubikkilometer Geröll versperrten daraufhin dem Rhein seinen Weg. Seitdem frisst sich der Fluss durch eine ursprünglich fünfzig Kilometer lange und mehrere hundert Meter dicke Gesteinsmasse. Das Ergebnis: die Rheinschlucht, die auch als Swiss Grand Canyon bezeichnet wird. Am oberen Rand dieser Schlucht verläuft ein besonderer Weg, der Kulinarik-Trail. Er richtet sich im doppelten Wortsinn an Genuss-Wanderer, denn für die zehn Kilometer lange Strecke wird ein voller Tag angesetzt. Da bleibt viel Zeit zum Staunen und Schlemmen. Und so funktioniert es: Man bucht ein Ticket und spaziert dann von Mahlzeit zu Mahlzeit. Zuerst ein Frühstücksplättli mit Bündnerfleisch und Bergkäse, dann ein Mittagessen mit Blick in die Bergwelt und nach einem weiteren Ortswechsel eine Nusstorte im Glas zum Kaffee.
Wer sich die gut siebzig Euro sparen möchte, der packt Stullen in den Rucksack und verbringt eine weitgehend klimaneutrale Brotzeit mit Blick auf die 350 Meter hohen, weißen Steilwände der Rheinschlucht auf der grazilen Aussichtsplattform Il Spir. / www.flimslaax.com/kulinarische-wanderung
PFLÜMLI ADÉ
Bündnerfleisch zum Frühstück, Käsefondue auf der Piste. Nach ein paar Tagen können selbst Schweiz-Liebhaber an die Grenzen des kulinarischen Overkills stoßen. Unser Tipp: zum Abendessen ins Nooba an der Talstation in Laax gehen. Hier werden Rezepte aus Japan, Thailand und Vietnam von einem Ernährungsberater überarbeitet und von Profis der asiatischen Küche frisch zubereitet und serviert; und das ganz ohne Hüttenromantik, Après-Ski-Gedudel und Steinbock-Devotionalien. / www.nooba.ch
DRACHE MIT ETIKETTE
Der Legende nach soll ein Fabelwesen mit ordinär langem Schwanz einem Liebespaar aus der Region die Wiedervereinigung ermöglicht haben. Die beiden waren – so die Legende – durch eine vergleichsweise plötzlich entstandene Schlucht räumlich getrennt. Daraufhin habe – so die Legende weiter – der Drache mit seinem Schwanz eine provisorische Brücke errichtet. Super Geschichte – super Namensgeber. Der Baumwipfelpfad zwischen Laax Murschetg und Laax Dorf soll an den Schwanz des Drachen erinnern und trägt den Namen Senda dil Dragun, Drachenweg. Spektakulär sind die Türme an den beiden Enden des 1560 Meter langen Stelzenweges, des laut Eigenwerbung längsten Baumwipfelpfades der Welt. Sie sind 27 und 37 Meter hoch. Wer mehr als nur schlendern und schauen möchte, sollte sich ein Tablet mieten, auf dem man in augmented Reality Erklärungen bekommt. Infotafeln sind entlang des Weges sehr spärlich vorhanden. / www.flimslaax.com/naturerlebnisse/baumwipfelpfad
NACHHALTIG RELAAXEN
Raues Toilettenpapier und Pfefferminztee; fragt man Deutsche, woran sie beim Thema Jugendherberge denken, dann stehen diese Punkte ganz oben auf der Liste. Tee und Recycling-Toilettenpapier gibt es auch in der im Dezember 2020 eröffneten Jugendherberge in Laax. Aber das Papier ist flauschig und der Tee fließt aus einem polierten Edelstahl-Samowar im Wellnessbereich. Mit einem 25-Meter-Schwimmbecken, einem Heißwasser-Pool, diversen Saunen, Nebeldusche und Pendelliegen fällt das WellnessHostel3000 auch für Schweizer Verhältnisse aus dem typischen Jugendherbergsrahmen. Und auch sein Nachhaltigkeitskonzept ist bemerkenswert. Geheizt wird mit regenerativer Energie aus Fernwärme, die Möbel sind aus Massivholz und deshalb besonders langlebig, die Mahlzeiten vorwiegend vegetarisch und die Bettwäsche besonders ressourcenschonend; sie trocknet schnell und muss weder gebleicht noch gemangelt werden. Wer den CO2-Ausstoß seines Aufenthaltes kompensieren möchte, zahlt deshalb nur etwa 50 Cent pro Nacht zusätzlich. Die Nacht im Sechsbettzimmer kostet inklusive Frühstück ab etwa 49 Euro. Im Doppelzimmer zahlt man pro Nacht ab 75, inklusive Zutritt zum Wellness-Bereich ab 80 Euro. Mit diesem Wellnessbereich und für Schweizer Verhältnisse gilt das als günstig. Das Personal stammt allerdings auch zu großen Teilen aus einem nördlich an die Schweiz angrenzenden Billiglohnland. / www.wellnessHostel3000.ch
AUCH FREERIDER WERDEN ÄLTER
Wenn die Kundschaft altert, sollten Unternehmen Schritt halten. Ein Beispiel für den erfolgreichen Umgang mit dem Wandel ist IKEA. Verkaufte der Möbelriese ursprünglich billige Massenware mit mäßigem Design-Anspruch für Studenten, gibt es dort inzwischen teure Massenware mit mäßigem Design-Anspruch für eine jetzt besser verdienende Zielgruppe. Ein noch umfangreicheres Facelift hat das Riders Hotel nahe der Talstation der Bergbahnen in Laax bekommen. Das 2001 unter dem Namen Riders Palace eröffnete Haus buhlte seinerzeit um die Club-Community. Doch die ist inzwischen ruhiger – und reicher – geworden und sucht heute eher Lifestyle als Party. Und das neue Lebens- und Urlaubsgefühl soll umweltbewusst sein. Deshalb produziert das Hotel seit seinem Umbau mehr als zwanzig Prozent des benötigten Stroms selbst. Auf dem begrünten Dach stehen vertikale Solarpanelen, die auch bei Schnee effektiv Strom produzieren. Der Rest stammt aus lokaler Wasserkraft. Im Hotel gibt es auch das erste vegetarische Restaurant in Laax; gekocht wird mit regionalen Produkten. Und wer noch mehr Anregungen für eine nachhaltige Lebensweise sucht, findet diese beim Yoga, in Kunstausstellungen oder beim kostenlosen Repair-Service für Kleidung. /// www.ridershotel.com
Text: Carsten Heider