SCHLAF GUT!
„Schäfchen zählen“: Funktioniert’s wirklich? Wir haben mit Anne-Sophie Fluri, Neurowissenschaftlerin und Chief Science Officer beim digitalen Schlafcoach „eaze“, über Schlafstörungen, ihre Ursachen und die besten Therapiemöglichkeiten gesprochen.
WIE VIELE MENSCHEN IN DEUTSCHLAND LEIDEN UNTER SCHLAFPROBLEMEN UND -STÖRUNGEN?
Die Prävalenz von Schlafproblemen und -störungen in Deutschland variiert in den Berichten erheblich, da unterschiedliche Kriterien zur Messung herangezogen werden. Die meisten Schätzungen bewegen sich zwischen 10% und 43%. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich im unteren Bereich auf tatsächlich diagnostizierte Schlafstörungen handelt, während der höhere Bereich – teilweise bis zu 50 % – Personen umfasst, die regelmäßig Unzufriedenheit mit ihrer Schlafqualität äußern, jedoch nicht zwangsläufig alle Kriterien für eine formelle Diagnose erfüllen würden.
SIND DAS IM INTERNATIONALEN VERGLEICH BESONDERS VIELE ODER WENIGE?
Im internationalen Vergleich ist Deutschlands Prozentsatz an Menschen mit Schlafstörungen zwar nicht führend, aber auch nicht unbedeutend. Laut einer 2023 durchgeführten Statista-Studie, die zwölf Länder untersuchte, liegt Schweden mit 49% an der Spitze, gefolgt von Deutschland mit 43%, was im Mittelfeld liegt. Im Gegensatz dazu verzeichnen Länder wie die Schweiz mit 32% und Indien mit 26% deutlich niedrigere Raten von Menschen mit Schlafstörungen.
WAS SIND DIE HÄUFIGSTEN URSACHEN FÜR SCHLAFSTÖRUNGEN?
Schlafstörungen können auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen sein. Zu den häufigsten zählen psychische Faktoren wie Stress, Angstzustände und innere Unruhe. Ebenso können ungünstige Schlafgewohnheiten, wie ein übermäßiger Konsum von koffeinhaltigen oder alkoholischen Getränken, den Schlaf beeinträchtigen. Neben diesen sind auch körperliche Ursachen wie das Restless-Legs-Syndrom oder Schlafapnoe bedeutende Gründe für Schlafprobleme.
WIE WIRKT SICH DER SCHLAFMANGEL AUF DEN KÖRPER UND AUF DIE PSYCHE AUS?
Die Auswirkungen von Schlafmangel oder mangelnder Schlafqualität kann viele verschiedene Folgen haben. Sie erhöhen das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, können zu Gewichtszunahme und einem erhöhten Risiko für Adipositas führen. Zudem verstärken sie das Schmerzempfinden erheblich. Das allgemeine Wohlbefinden ist stark verringert und das Risiko für Depressions- und Angsterkrankungen steigt signifikant an.
WELCHE MÖGLICHKEITEN BIETET DIE MODERNE, WESTLICHE MEDIZIN, UM DIE NÄCHTLICHE UNRUHE ZU BEKÄMPFEN? WELCHE RISIKEN BIRGT DIE REGELMÄSSIGE EINNAHME VON SCHLAFMITTELN?
Die moderne westliche Medizin bietet verschiedene Ansätze zur Bewältigung nächtlicher Unruhe. Oft wird jedoch direkt auf Schlafmittel zurückgegriffen, die lediglich die Symptome behandeln, nicht aber die zugrunde liegenden Ursachen von Schlafstörungen angehen. Dabei unterscheidet man zwischen freiverkäuflichen und rezeptpflichtigen Mitteln. Die moderne westliche Medizin bietet verschiedene Ansätze zur Bewältigung nächtlicher Unruhe. Oft wird jedoch direkt auf Schlafmittel zurückgegriffen, die lediglich die Symptome behandeln, nicht aber die zugrunde liegenden Ursachen von Schlafstörungen angehen. Es gibt auch eine psychologische Komponente, die häufig nicht berücksichtigt wird: Langfristige Einnahme von Schlafmitteln kann dazu führen, dass das eigene Schlafvermögen ausschließlich den Tabletten zugeschrieben wird. Wenn dann plötzlich das Absetzen erfolgt und kurzfristige Verschlechterungen auftreten, entsteht oft eine verstärkte Schlafangst.
WELCHE HAUSMITTEL UND PFLANZLICHEN MITTEL WÜRDEST DU EMPFEHLEN?
Eine bewusste Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Lebensmittel mit einem natürlichen Melatonin-Gehalt wie Kirschen und Bananen vor dem Schlafengehen können unterstützend wirken. Zusätzlich können entspannende pflanzliche Mittel hilfreich sein. Produkte wie Lasea nutzen die beruhigenden Eigenschaften von Lavendel, während beruhigende Tees mit Melisse, Hopfen oder Kamille frei verkäuflich sind und ebenfalls unterstützend wirken können.
WIE KÖNNEN DIGITALE ANGEBOTE DIE SCHLAFQUALITÄT VERBESSERN?
Ein großer Teil der Behandlung von Schlafstörungen zielt auf den Aufbau einer Schlafroutine ab. Insbesondere hier können digitale Angebote durch Erinnerungen und Anregungen helfen. Das Besondere an digitalen Lösungen ist ihre hohe Zugänglichkeit. Sie erfordern keine drastischen Veränderungen im Alltag, wie regelmäßige Workshops oder kostenintensive Coachings oder Therapien. Diese niedrigschwelligen Angebote fördern die Adhärenz, also die Einhaltung der gemeinsam gesetzten Therapieziele, was bei der Behandlung von Schlafstörungen besonders relevant ist. Gleichzeitig bieten digitale Angebote die Möglichkeit, schlafbezogenes Wissen auf interaktive Art und Weise zu vermitteln.
DIE EAZE APP WILL MENSCHEN MIT SCHLAFPROBLEMEN MITTELS COACHINGS HELFEN. WIE GENAU FUNKTIONIERT DAS SOGENANNTE SCHLAFCOACHING?
Die eaze App basiert auf dem Prinzip der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie, um Menschen mit Schlafproblemen durch Coaching zu unterstützen. Dabei arbeiten Nutzer eng mit einem persönlichen Schlafpsycholog_innen zusammen, um individuelle Schlafziele zu setzen und zu erreichen. Das Programm konzentriert sich auf zwei Hauptaspekte: den langfristigen Aufbau oder die Veränderung der Schlafgewohnheiten und die Ersetzung von bestehendem Verhalten durch förderliche Praktiken für den Schlaf. Die App vermittelt kognitive Techniken, die darauf abzielen, das Grübeln zu reduzieren und den Umgang mit Stress zu verbessern. Darüber hinaus werden klassische Entspannungstechniken vermittelt. Gleichzeitig wird an dysfunktionalen Denkmustern und Überzeugungen in Bezug auf den eigenen Schlaf gearbeitet. Das Ziel ist es, diese Muster zu identifizieren, aufzudecken und in positive Denkweisen umzuwandeln, um langfristig zu einer verbesserten Schlafqualität beizutragen.
WAS BIETET DIE APP SONST SO?
Neben dem Schlafcoaching bietet die App eine Vielzahl weiterer Funktionen. Ein Schlaftagebuch ermöglicht das Verfolgen der subjektiven Schlafqualität und die Aufzeichnung von genutzten Schlafstrategien. Eine Chatfunktion ermöglicht die direkte Kommunikation mit der persönlichen Schlafpsycholog_in. Zudem sind alle bereits erarbeiteten und erlernten Übungen sowie Techniken innerhalb der App zugänglich und können jederzeit abgerufen werden.
„SCHÄFCHEN ZÄHLEN“: FUNKTIONIERT’S WIRKLICH? ODER IST DAS EIN MYTHOS?
Theoretisch vereint die altbekannte Methode des “Schäfchen zählens” einige Ansätze klassischer Meditationen. Die Visualisierung der Wolken und Schäfchen sowie das monotone Zählen kann potenziell zu einem Zustand der Entspannung führen. Allerdings empfinde ich persönlich, dass diese Übung eher für fortgeschrittene Nutzer geeignet ist. Ohne konkrete Anleitung kann es leicht zu Gedankenschweifen kommen, was von Anfängern als negativ empfunden wird – sie zweifeln dann eher an der Wirksamkeit.
MAL ABGESEHEN VON DER APP; WAS IST DEIN ULTIMATIVER TIPP FÜR EINE UNGESTÖRTE NACHTRUHE?
Sich nicht stressen lassen, wenn es mal nicht klappt. Die herausforderndsten Fälle von Schlafstörungen treten oft in Verbindung mit starker Schlafangst auf – die Angst, nicht einschlafen zu können oder am nächsten Tag übermüdet zu sein. Jeder hat mal eine schlechte Nacht – das ist dann lediglich ein Anzeichen dafür, dass man wieder strenger auf die eigene Schlafroutine und ausreichend Entspannung achten sollte. Ein verbreiteter Fehler ist das „Schlaf-Binging“ am Wochenende, also der Versuch, den Schlaf, den man während der Arbeitswoche verloren hat, nachzuholen. Leider lässt sich verlorener Schlaf nicht nachholen und auch vorschlafen bringt nix – tatsächlich schadet es sogar unserer allgemeinen Schlafqualität. ///