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FUTURE FASHION
„Per Mausklick und mithilfe komplexer Software werden die wildesten Geflechte am Bildschirm geschaffen.“
7. Februar 2017

FUTURE FASHION

Vor rund 200 Jahren galt die Erfindung der dampfbetriebenen Webmaschine als Revolution in der Textilindustrie. Der Engländer Edmund Cartwright ließ die erste mechanische Webmaschine 1785 patentieren, die Massenproduktion von Stoffen wurde möglich. Heute werden Shirts und Hosen zu Tausenden in Fabriken auf der ganzen Welt voll automatisiert produziert. Und Schuhe? Werden ganz einfach gedruckt. Textil und Technologie gehören so untrennbar zusammen wie Lagerfeld und seine Claudia. Ohne die Erfindung der Nähmaschine wäre die Herstellung unserer Kleidung eine mühsame und langwierige Angelegenheit. Die Entdeckung neuer Fasern wie Viskose und Polyester erlauben neue Designs, die voranschreitende Technisierung und Digitalisierung der Produktionsabläufe geben den Weg frei zu völlig neuen Herstellungsverfahren. Ein modernes Verständnis für die Oberflächenbeschaffenheit von Materialien und ihre Belastbarkeit weisen den Weg zu Hybridkleidung, die sowohl neue Funktionen erfüllt, aber auch in ihrem Aussehen immer wieder Grenzen einreißt. Dabei wurde der Einsatz von Technologie bei der Produktion von Kleidung in den letzten 15 Jahren immer spielerischer.

Francis Bitonti

Eine neue Generation von Designern hat ihren Heidenspaß daran, aus Mode mehr zu machen als die bloße Bedeckung unseres nackten Körpers. DER Tech-Trend: 3-D-Printing. Designer wie die Österreicherin Julia Körner oder Iris van Herpen aus den Niederlanden gehören zu den Pionieren dieser völlig neuen Art, Kleidung herzustellen. Mittels Bodyscan-Verfahren können Körper auf den Millimeter genau vermessen werden, der 3-D-Drucker fabriziert im Anschluss – Schicht für Schicht und in einem mitunter Tage dauernden Prozess – eine zweite Haut. Designer wie Körner denken nicht länger im zweidimensionalen Raum, sie sind Architekten und kreieren Landschaften, die sich in alle drei Ebenen erstrecken. Filigrane Konstrukte entstehen, Gebirgszüge, Buchten, Krater – Kunstwerke. 3-D-Drucker könnten in Zukunft auch das Einkaufserlebnis revolutionieren. So könnten Konsumenten Material, Farbe und Form online wählen, zuvor vermessene Körpermaße eingeben und nach wenigen Tagen ein mehr oder weniger selbst designtes Unikat erhalten. Flexible Materialien gewähren weitere Fortschritte in der Technologie des 3-D-Druckens. Körner und Herpen arbeiten schon lange nicht mehr am Zeichenbrett. Per Mausklick und mithilfe komplexer Software werden die wildesten Geflechte am Bildschirm geschaffen.

Shinseungback Kimyonghun

Aber nicht nur die Beschaffenheit von Kleidung findet einen neuen Angelpunkt, immer mehr Designer versehen ihre Entwürfe mit funktionaler Mikrotechnologie und LED-Technik. Der Koreaner Shinseungback Kimyonghun zeigte im letzten Jahr eine Jacke, die über und über mit Kameras versehen in der Lage ist, Geschehenes in der Umgebung aufzunehmen: die so entstandenen Bilder können später über das Internet abgerufen und mit Freunden und Familie geteilt werden. Die Jacke soll aber auch das Gegenüber zu besserem Benehmen ermuntern. Wer will schon, dass einem die halbe Welt beim Rülpsen zusieht? Das Studio The Unseen zeigte auf der Londoner Fashion Week eine Weste, die – über den natürlichen Magnetismus unseres Körpers initiiert – unsere Launen in wechselnden Farbmustern widerspiegelt. Ein Jahr zuvor entwickelte The Unseen eine Mütze, die Gehirnströme in Farbwelten umzuwandeln vermochte. Die Designer von Drap og Design aus Oslo haben es geschafft, eine Jacke zu entwickeln, die einem Chamäleon gleich die Farbe jedes Objekts annimmt, die der Träger berührt. Der Bauplan für die „Interacket“ steht online zum Nachbauen für jeden zur Verfügung.

Drag og Design

Es gibt im schier nicht enden wollenden Strom ambitionierter Tech-Fashion aber auch Designer, die sich nicht von Chips und LEDs überrollen lassen wollen. Für die Ausstellung Abiti da Alvoro in Mailand entwarf Wolf D. Prix von COOPHIMMELB(L)AU einen Umhang, dessen Stoff Datenklau unmöglich macht. Elektronische Geräte sicher in den übergroßen Taschen im Inneren verstaut, lassen die metallischen Fasern im Mantel jeden Versuch digitaler Spionage abperlen. Manchmal muss man eben auch abschalten können. /// www.juliakoerner.com / www.irisvanherpen.com / www.ssbkyh.com / www.theunseenemporium.co.uk / www.drapogdesign.com / www.coop-himmelblau.at

 

Text: Felix Just

7. Februar 2017 Fashion m #47 zum mate.style.lab