DIE GANZE ERDE AUF 11 STOCKWERKEN
1.400 Stunden im Jahr verbringt der Durchschnittsdeutsche am Arbeitsplatz. Das sind rund 250 Tage im Jahr und bei einem Rentenregelalter von 67 Jahren und einem Eintritt ins Berufsleben im 19. Lebensjahr 12.250 Tage seines Lebens. 29 Tage im Jahr ist er beurlaubt. Der „normale“ Deutsche verreist dann nach Italien oder Spanien. Die wenigsten schaffen es über die Grenzen der EU hinaus. Der Großteil bleibt sowieso am allerliebsten zu Hause und macht in Deutschland Urlaub. Eine fortschreitende Emigration aus ländlichen Gebieten und der Boom urbaner Wohnwelten bringt Otto Normal um noch mehr Reize. Das polnische Designstudio BOMP hat einen Erlebnis-Tower erdacht, der das visuelle, haptische, olfaktorische und selbst kinästhetische Bewusstsein seines Besuchers herausfordern will – und das in elf aufregenden Landschaften, auf elf Stockwerken und auf einer Grundfläche von gerade einmal 300 x 100 (theoretischen) Metern.
Seit der ersten Ausschreibung im Jahr 2006 verleiht das Magazin eVolo jedes Jahr einen Award für den innovativsten und mitunter mutigsten Hochhausentwurf. Die Skyscraper Competition zeichnet Ideen aus, die neue Technologien in besonderem Maße einzubinden verstehen. Ideen, die vertikales Leben auf die Probe und unser klassisches Verständnis vom traditionellen Hochhaus auf den Kopf stellen und dabei aktuelle Herausforderungen wie Globalisierungsprozesse und ein neu gewachsenes Interesse am Erhalt unserer Umwelt nicht außer Acht lassen. Vor zwei Jahren hatte die vier Kreativen von BOMP die Nase vorn und wussten mit dem Essence Tower nicht nur ein visuelles Highlight zu schaffen, sondern vor allem den Aspekt modernen urbanen Lebens zu befriedigen, das heute mehr denn je nach einem Bezug zur Natur verlangt. Essence ist kein Urlaubs-Tower und kein Erlebnispark. Das halb durchsichtige, halb milchige Megakonstrukt ist eine gewaltige Erinnerung an all das, was wir für fließend Wasser und eine schnelle Internetverbindung aufgegeben haben. Insgesamt beherbergt der Entwurf elf Landschaften, die ineinander übergehen. Der Besucher wandert durch trockene Steppen, wabernde Moorlandschaften und durch eiskalte Polarwüsten. Selbst einen kleinen Ozean würde das Gebilde beherbergen, einen Wasserfall und eine Höhle.
Der zweite Platz ging übrigens nach Indien: Suraksha Bhatla und Sharan Sundar reichten den Entwurf eines Hochhauses ein, das einzig aus Materialien bestünde, die typisch sind für die Behausungen in indischen Slums. /// www.bomp.eu / www.evolo.us
Text: Felix Just
Schlagworte: Architektur, BOMP, Design, Feature, Skyscraper