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DER KLEINE PRINZ
VON SANSSOUCI
„Du bist hier nicht bei Lagerfeld! Hier gibt's nur Cola.“
13. Juni 2011

DER KLEINE PRINZ VON SANSSOUCI

Wolfgang Joop ist ein wahrer Alleskönner: Künstler und Kunstsammler, Journalist und Mediengestalt, Designer und Modebegeisterter. Mate öffnete er die Pforten zu seiner Villa im brandenburgischen Potsdam. Freundlich wurden wir von Frauke begrüßt an diesem sonnigen Nachmittag im „Vorort von Berlin“, wie Wolfgang Joop scherzhaft die Landeshauptstadt Potsdam nennt. Wir mussten uns jedoch noch ein wenig gedulden, das Wunderkind war noch nicht für uns zu sprechen. Aber wie hätten wir einfach bei einem Kaffee warten können, wo wir doch nun einmal bei einem ganz besonderen Künstler zu Hause waren? Mit dem Wunsch, die Atmosphäre und Stimmung dieses einzigartigen Kreativortes für Mate wiederzugeben, zogen wir, bewaffnet mit der Kamera, erst einmal ins Obergeschoss. Frauke führte uns vorbei an „Come on over“, einer feschen Lady, die sich mit ihrer störrischen Ziege abmüht, und weiter zum bruchgelandeten Chicken „I believe I can fly“, das oben am Eingang zu den Ateliers über die kreativen Köpfe wacht – beide vom in Berlin und New York lebenden Künstler Kehl.

Pop-Art und Moderne im Dialog mit alten Meistern. So sieht Joop es selber und man spürt es: In diesem Haus ist Leben. Hier wird gelebt und gearbeitet. Immer hört man Stimmen, jemand kommt vorbeigewuselt, freundlich Guten Tag sagend. Wie es uns gefällt? Es ist bezaubernd. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Waren Sie schon drüben bei Rumpf? Nein? Da müssen Sie mich mal besuchen kommen!“ Das war nur so ein Satz, den man so dahersagt, aber es klang so herzlich und offen ernst gemeint. So logisch.

„Wollt ihr in dem Raum auch fotografieren? Es ist nicht wirklich aufgeräumt.“ – Wie sympathisch!
Das Beeindruckendste ist natürlich die große Halle, von der
alle Zimmer abgehen: Über zwei Geschosse und die gesamte
Tiefe der Villa erstreckt sich das Atrium. Absolut symmetrisch ausgestattet mit Skulpturen und Bildern öffnet sie den Blick durch die hohen Fenster auf den Heiligen See und das gegenüberliegende Marmorpalais. Dieser Blick ist es, den Joop seit seiner Kindheit liebt – damals jedoch nur von der anderen Seite des Heiligen Sees aus, wie er uns später berichtet, denn diese Seite war zu dicht am „Spionage-Kontrollpunkt“ Glienicker Brücke und damit nicht ohne Weiteres zugänglich.

 

Deshalb genießt er ihn heute umso mehr und schaut von seinem Arbeitsplatz direkt hinüber. Arbeitsplatz ? Das klingt so trocken nach DIN-Vorschriften und Stechuhr. Hier ist es anders. Wir sind im Herzen der Villa angekommen: im Atelier von Wolfgang Joop. Einem der nachhaltigsten Modemacher der Welt. Dürfen wir hier einfach so rein? Bestimmt nicht! Auf dem Tisch liegen doch Skizzen, aktuelle Entwürfe von Wolfgang Joop … Zugegeben, der Wachhund auf dem Teppich davor ist nicht unbedingt angsteinflößend, allerdings könnte er eventuell hysterisch hell kläffen und somit doch seinem Dasein Sinn verleihen. Aber Lottchen schweigt entspannt und zuckt noch nicht mal, als der Blitz der Kamera das Atelier erhellt. Wir durften also tatsächlich hier rein.

Doch kaum ist der Kamerablitz verblasst, da strahlt es von der Halle her fast genauso gleißend. Das Wunderkind ist bereit und zeigt uns sein einnehmendes weißes Lächeln: „So Kinder, was soll ich anzieh’n?“ Machen wir erst die Fotos? Ich könnte ja einen Anzug anzieh’n? Das erwartet man nicht? Ich kann mich auch auszieh’n? Ich hab heut früh schon nackt auf den Füßen meines Jogalehrers gelegen!“ Das Eis ist gebrochen! Wobei: Eis? Welches Eis? Sympathisch, locker, jung, dynamisch, angenehm – als ob wir uns schon ewig kennen. Das ist Wolfgang Joop. Na ja, eigentlich ist es einfach Wolfgang. Man traut sich gar nicht zu fragen, ob man Du sagen soll. Warum sollte man auch Sie sagen? In Amerika gibt es eh kein Sie, wäre mit Sicherheit seine Antwort gewesen. Und so schnell wie er erschienen war, verschwindet er erst mal wieder. Und zieht sich um.

Als Erstes zeigt uns Wolfgang seine Engel für die Biennale in Venedig. „Wie kommen wir darauf, Engel immer mit menschlichem Antlitz zu versehen?“ So sind Joops Engel eben Affen. Er selbst isst artig eine Banane.
Venedig. Das ist die nächste, wichtige Station im Leben des Künstlers Wolfgang Joop. Die Verheißung der Geburt Jesu, mit einem schwarzen gekrönten Affen, der schwanger ist, und einem Steinmetz, der Joop bittet, ob er nicht Venedig verschieben kann. „Venedig verschieben? Das einzige, was die da verschieben,
sind die Gondeln!“ Aber das ist eben das Besondere, wenn man Kunst schafft: dass man gemeinsam etwas Neues schöpft. Und so darf sich eben auch der Steinmetz nun als Künstler fühlen – und bekommt prompt seine erste Depression!
„Welche Haushälterin ist denn heute da?“ „Keine mehr!“ „Aber
wo ist denn meine Malerhose?“ Alltägliche Probleme eben … und schon ist er wieder weg und wir werden gebeten, im Salon bei ein paar Säften oder Cola auf unseren Interviewpartner zu warten. „Habt ihr auch Cola light, Wolfgang?“ „Du bist hier nicht bei Lagerfeld! Hier gibt’s nur Cola.“ – und schon geht es los.

Die einfache Frage nach dem Fußboden, auf dem wir sitzen, reicht aus, um Wolfgang Joop einen Redeschwall zu entlocken. Mit kindlicher Begeisterung erzählt er uns von den Anfängen in Potsdam. Wie er vor zwölf Jahren die völlig runtergekommene Villa von 1904 erwarb, in der erst die Engländer ihr Unwesen trieben und danach eine Wohnungsbaugenossenschaft „nachwendlich“ das Haus als Partylocation vermietete und für Events zur Verfügung stellte: „Events und Sponsoring waren ja die ersten Worte, die man hier gelernt hat. Könnta mich ma sponsan?“ Und so ist Wolfgang Joop eben zurückgekehrt in sein Potsdam, das er 1954 verlassen hatte, über Braunschweig nach New York, um das mal kurz zusammenzufassen. Als er aber merkte, dass sein Bauleiter sich zwar einen Mercedes gekauft hatte, mit dem er allerdings nur mal morgens kurz vorbeischaute, um dann gleich wieder ins Grüne zu fahren, zog er selbst von New York her, um die Villa davor zu retten, in den Heiligen See zu rutschen, wie er auf seine schmunzelnde Art und Weise es doch so treffend beschreibt. Und so stammt der Fußboden, auf dem wir nun also sitzen, eben nicht aus diesem Haus, sondern aus einem Abrisshaus. Da er aber von Schinkel ist, riss man ihn wohl nicht mit ab – wie angenehm!

„Ich brauchte keene zehn Köche oder zehn Masseusen.“ Joop kam hier an und wollte was machen. Was „Berufliches“, wie er sagt. Ein Kunstwerk für sich. 1991 in New York las Joop das Wort „Wunderkind“ in einer US-Zeitschrift, und die Idee war geboren, etwas Neues zu schaffen und eine Marke zu kreieren. Das war die Idee, das war das Label: Wunderkind! Einzigartig, glamourös, geheimnisvoll und international. Anknüpfend an „Adam & Eve“ und „Rokoko“, damals als Hommage an seine emotionale Heimat Sanssouci, wo er als Kind immer der kleine Prinz von Sanssouci war. „Hab ick mir selber einjeredet! Und keiner hat’s mir ausjeredet!“
Wunderkind wurde etwas Neues. Joop hatte im Jahr 2000 mit dem Verkauf der Marke Joop! eigentlich abgeschlossen mit der Mode und wollte etwas anderes machen, Maler oder Bildhauer sein. Sein Bestseller-Roman, der 2003 erschien, handelte von genau diesem melancholischen Modedesigner, der Abschied nimmt vom Laufsteg. Und doch konnte er es nicht sein lassen. Aber mit Wunderkind gelang es „schlafwandlerisch“, eine Lücke zu füllen im Modemarkt. „Ich zeichne etwas, das vorher nicht da war, und dann ist es wie ein Familienmitglied. Nicht du sagst dem Stück, was es ist“, sondern das Kunstwerk sagt eben über den Künstler aus, was er ist und kann: „Das bist du: so intelligent, so begabt, so begnadet oder so bescheuert!“

Ob die Medienresonanz der letzten Monate ihn deprimiert habe? „Nee, wer sind denn die Medien? Die Springerpresse. Prima, die macht wenigstens geile Schlagzeilen. Die Vogue? „Die kommt zu spät heraus. Wenn die rauskommen mit ’ner Nachricht, bin ich schon dreimal beim Frisör gewesen. Die les ich auch nur unter
der Trockenhaube.“ Die Vogue sei eben „sokratesartig“ gefüllt mit „Küchenphilosophie“, damit es nicht zu „banal brigittich klingt!“ Und Joop weiß, wovon er spricht. Nicht nur, dass er selber Buchautor ist, er hat auch jahrelang Essays für den Spiegel geschrieben und plauderte auch da ein wenig aus dem Nähkästchen. Zum Beispiel, dass er sich ein halbes Jahr lang rumstreiten musste, ob er denn nun „no pain no gain“ schreiben darf, wo es doch „ohne Fleiß kein Preis“ für den braven Spiegel und seine Lehrer, äh Leser („der Großteil der Spiegelleser sind Lehrer“) heißen muss! Und dabei ging es doch eigentlich um New York. Joop stellte nämlich interessante Thesen auf: Das ultimative „Party Pet“ sei ein Schwuler! Du kannst nicht mehr „ohne Tunte“ irgendwo hingehen, wenn du was auf dich hältst. Und die Männer beneiden seit Jahrzehnten die Frauen um ihre „Meno-Pause“: „Dieser Moment des Lebens, wo sie mal ausrasten können!“ – Ein Aufstand in der Redaktion. Aber Joop sagte nur kühl: „Stellt euch Schwulsein nicht so einfach vor!“ Und so ging es dann weiter über die Medien. Über den Sinn zu informieren oder lieber Klischees zu bedienen – typisch deutsche Klischees, wie Joop anmerkte. Das Wort Schadenfreude gibt’s im Amerikanischen nicht. Und manch ein Kollege wird ja gar nicht müde, sich öffentlich über den Rausschmiss von Galliano zu freuen! Da trinken wir doch lieber noch mal einen Schluck Cola MIT Kalorien.

 

Was verbirgt sich eigentlich hinter einer Schlagzeile, die ach so intellektuell und philosophisch klingt?
Wie stand es erst kürzlich über Joop in einem Artikel: „auf hohem Niveau erfolglos“ – „Wenn man das hohe Niveau erreicht hat, ist man nicht mehr erfolglos! Vielleicht arm – aber nicht erfolglos!“ Und zum Schluss noch ein Gruppenfoto?

 

„Klar, hier vor dem Paravent! Der stand schon beim schwulen Fritz im Kinderzimmer.“
Danke für diesen spannenden Nachmittag, Herr Joop! /// www.wunderkind.com

 

Text & Fotos: Vasco Pridat