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BERAUSCHENDES BORDEAUX
Travel
10. März 2018

BERAUSCHENDES BORDEAUX

Als im 18. Jahrhundert der Seehandel blühte, bekam Bordeaux das Gesicht, das heute beeindruckt. Es gab wohl noch keinen Denkmalschutz, denn sonst hätten die „Intendanten“, die historischen Verwalter, nicht die alten Stadtmauern abreißen und die mittelalterlichen Gebäude einstampfen können. Fortschritt brauchte Platz, daher wurden breite Prachtstraßen angelegt. Entlang dieser „Cours“ liegen wunderschöne Gebäude, die wie Paläste anmuten. In einheitlich hellgelbem Travertin säumen sie auch die Ufer der Garonne. Mittendrin die alte Börse, das Palais de la Bourse mit großen Vorplatz, das heute als riesige Event-Location und somit auch als Kulisse zur jährlichen „Fête le vin“ dient. Seit bereits zehn Jahren steigt hier eine dionysische Party.

Mit einem Degustations-Pass mischt man sich in die Menge und schlendert die zwei Kilometer der „Route des Vins“ am Fluss entlang. Achtzig „Appelations“ stellen sich vor, die Auswahl fällt schwer. Die Stimmung ist überaus gastfreundlich, und wer sein veganes Auge zudrückt, bekommt das fetteste Gänsestopfleber-Baguette, das man sich nur wünschen kann, und wird auch gleich zum Urlaub auf dem Stopfleber-Bauernhof eingeladen. Überhaupt ist Bordeaux heute weltweit eher bekannt durch sein Umland. Einige der berühmtesten Weine wachsen hier im größten zusammenhängenden Anbaugebiet der Erde. Vom Tourismusbüro aus starten zahlreiche Touren ins Bordelais: Halbtagstouren, Ganztagstouren, Degustations- und Sightseeing-Touren.

Wer hätte gedacht, dass einstmals der ehrenwerte Paul Palmer sein Château direkt an die Hauptstraße gebaut hat, sodass wir Touristen die Hälse über seinen Gartenzaun recken können? Margaux ist da schon verträumter und liegt versteckt am Ende einer langen Allee – eines der seltenen Güter, das noch mehr oder weniger in privaten Händen ist.

 

So unterschiedlich wie die Châteaus und „Appelations“ ist die Art und Weise, wie die Rebstöcke angebaut und gepflegt, die Trauben geerntet werden. Das fängt nicht erst damit an, dass Winzer günstigerer Weine sich mit Pestiziden gegen Raupen schützen. Bei einem Grand Cru hat schon ein Schmetterling keine Chance! Liebevoll werden an die Reben hunderte kleine Fläschchen gesteckt, in der ein weibliches Pheromon ist. Der ganze Weinberg riecht dadurch für frivole Falter-Männchen nach Falter-Fräulein, was die schielenden Schmetterlinge zu Schnappatmung bringt, wodurch sie leider kein richtiges Weibchen mehr finden, um gefräßige kleine Räuber-Raupen aufzuziehen. Da haben wir unseren Bio-Wein, dessen Trauben natürlich mit der Hand geerntet werden. Ob sie dann allerdings auch von frechen französischen Burschen mit Baskenmützen barfuß getreten werden, bleibt der Fantasie überlassen.

Wer nun alles, aber auch wirklich alles über Bordeaux und den Weinbau erfahren will, nimmt sich einen ganzen Tag Zeit für die gerade eröffnete La Cité du Vin. Vom Zentrum erreicht man in nur zwanzig Minuten das neue Cyber-Château am besten mit der Tram. Architektonisch soll es an einen Dekanter erinnern, in seinem Bauch birgt es eine Art Museum über Bordeaux und den Weinbau im Allgemeinen. Museum ist allerdings das völlig falsche Wort, denn es ist alles andere als museal. Es ist ein Cyberspielplatz für Groß und Klein. Man muss sich noch nicht einmal für Wein interessieren, um von den Möglichkeiten der Technik fasziniert zu sein: An gedeckten Tischen erscheinen 3-D-Avatare, die einem den Wein zum Essen erklären. Bilder an Wänden sprechen. Berührt man Globen, werden die Weinernten der Regionen simuliert und Fakten veranschaulicht. Tablets erklären die Welt. Am Buffet der fünf Sinne riecht man Farben und ertastet Geschmack. Es erinnert unweigerlich an Disneylands „It’s a small world“, wo Deutsche einfachen US-Amerikanern als krachbelederte Schuhplatter vorgestellt und Geschichte und Kultur auf einen sehr kleinen Nenner gebracht werden. Is Riesling always white? Anyway. Vielleicht ist ja tatsächlich so viel Show heute nötig, damit wir noch in ein Museum gehen. Placet.

 

Ursprünglicher ist es sicherlich in einem der köstlichen Restaurants der Stadt: preislich auf einem angenehmen Niveau, qualitativ raffiniert und lecker. Die Nähe des Atlantiks zeigt sich auf den Speisekarten. Ein frischer Petersfisch mit leichtem Gemüse und einem Glas Weißen auf der Straße kann genauso schmecken wie das aufwendige Essen im Point Rouge mit über hundert begleitenden Weinen. Wer sich keine Flasche für 500 Euro leisten kann oder mag, der greift zu einem Glas 85er Pomerol für 50 Euro. Das Coravin-System ermöglicht es, der Conseillante nur ein paar Schlucke zu entnehmen, ohne den Korken zu beschädigen – und schon steht sie als Low Shoulder wieder im Schrank. Zum Wohl! ///

 

Text & Fotos: Vasco Pridat