-
-
-
 
AT HOME: WEST HOLLYWOOD
„Schließlich ist es kein Film-Set, sondern unser Zuhause.“
1. Mai 2008

AT HOME: WEST HOLLYWOOD

Eine relativ anspruchsvolle Sicht aufs Leben: Bereits beim Betreten der Dachgeschosswohnung von Nick Harvill und Steve Roussey in West Hollywood weiß man nicht, wohin man zuerst schauen soll. Es gibt so vieles, was die Aufmerksamkeit gefangen nimmt: eine unglaubliche Aussicht auf die Hollywood Hills, den Sunset Strip, Downtown LA, Catalina Island und Century City. Ein charmanter afrikanischer Graupapagei bewohnt die Terrasse, pfeift eine Passage aus der West-Side-Story-Ouvertüre, imitiert die Telefonklingel und sagt: „Hello, hello, what’s your name? How are you?“ Nach dem Bekanntmachen mit dem Papagei wird man von all den großartigen Büchern eingenommen. Steve und Nick sind nicht nur Sammler, ihr Zuhause dient gleichzeitig als Arbeitsplatz für das viel beachtete Nick Harvill Libraries Unternehmen.

CALIFORNIA DREAMING

1999 zog Nick von Manhattan an die Westküste. Er liebt beide Städte, doch er floh gen Westen vor den harten Wintern und um mehr Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Nick dachte, er würde auf Beton, große Einkaufszentren und viele Pendler stoßen, wurde aber positiv überrascht. „West Hollywood ist eine der am dichtesten besiedelten Gegenden Kaliforniens. Sehr vieles ist zu Fuß erreichbar, sogar eine überraschend große Anzahl meiner Kunden. Ich verbringe mehr Zeit damit, über den Stau zu reden, als selbst darin zu stecken“, erklärt Nick. In New York war er der Geschäftsführer von STUBBS BOOKS & PRINTS. Die New York Times schrieb über Stubbs, es sei das Bloomsbury am Hudson und die EDELVARIANTE von Studio 54. Es wurde zum Gerüst für sein jetziges Geschäft, aber gewürzt mit einem Schuss kalifornischer Pop-Kultur. Bereitwillig erzählt er von seinem Glück, unter den Fittichen der Namensgeberin von Stubbs gestanden zu haben. „Jane Stubbs lehrte mich alles über Bücher, Mode und Design. Als ich sie traf, kam ich aus meiner Wildnis-Phase, in der ich zwei Jahre lang ein Zelt bewohnte und Europäer durch die Wildnis Nordamerikas führte. In New York wollte ich dann etwas aus meinem Jura-Abschluss machen, doch sie und ihre Galerie waren zu verlockend und ließen mir keine andere Wahl“, erläutert Nick.

Steve ist gebürtiger Kalifornier, der von Newport Beach nach West Hollywood zog, was für ihn das Landesinnere bedeutet. Hier wurde er Vorstandsvorsitzender von NETWORK 54, einer Internetbetreiberfirma für Online-Communitys. Seine Interessen wandeln sich immer ins Geschäftliche um, wie im Fall des Internets oder auch der Immobilien. Derzeit gilt seine Leidenschaft der Fotografie, aber er ist noch unsicher, ob damit Geld zu verdienen sei: „Nun, wir werden sehen – vielleicht brauche ich einfach etwas, das ein Hobby bleibt“, scherzt Steve. Steve und Nick trafen sich vor acht Jahren und zogen bereits ein Jahr später in ihr jetziges Zuhause, das zugegebenermaßen sehr renovierungsbedürftig war. „Wir wussten, dass alles außer den romantischen Aussichten verschwinden musste“, sagt Nick. Doch sie entschieden sich gegen eine schrittweise Renovierung und stellten einen langwierigen Plan für eine gründliche Renovierung auf. Zunächst dienten ausschließlich Nicks Kunst und seine Bücher, die er aus New York mitbrachte, für die nötige Atmosphäre.

DER STARTSCHUSS

Die Renovierung begann dann erst Jahre später, „um 2:30 Uhr morgens im Mondrian Hotel, um genau zu sein“, erklärt Steve. „Eine Bekannte von uns, die rebellische Tochter eines konservativen U.S.-Kongressabgeordneten – man stelle sich Paris Hilton mit Intellekt vor –beklagte sich, sie habe keine Location für ihre Geburtstagsparty. In einem Moment des Mitleids bot ihr Nick unsere Wohnung an.“ Doch Steve rechnete schon mit dem Schlimmsten. Nick erinnert sich: „Aus 50 Gästen wurden es 400. Ein DJ wurde aus San Francisco eingeflogen, und bei einer der skandalösen Show-Einlagen hat sich ein Pärchen ausgezogen und angezündet.“ Die Sanierung war nunmehr keine Frage der Ästhetik, sondern eine Notwendigkeit. Glücklicherweise lernten sie den aufstrebenden Innenarchitekten Oliver Furth kennen, „gerade noch rechtzeitig, bevor er zu gefragt wurde, um unser kleines Projekt zu betreuen“, sagt Nick. Sie trafen ihn auf einer Party in Malibu, woraus bald eine Freundschaft erwuchs. „Im Gespräch mit ihm beeindruckte uns die Tatsache, dass er verschiedene Stilrichtungen miteinander kombiniert und dass er seine Kunden sehr stark mit einbezieht“, meint Steve, „Schließlich ist es kein Film-Set, sondern unser Zuhause.“

Furth’s Design vermittelt einen stilübergreifenden Eindruck. Man könnte es als entfesselt und frei beschreiben. Es ist sowohl im Heute und Jetzt als auch in der Vergangenheit angesiedelt. Im Esszimmer wurden ein Harvey-Prober-Schrank aus den 1940er Jahren mit einem Crate-and-Barrel-Esstisch arrangiert. Das Wohnzimmer beherbergt eine Alu-Trennwand, die eigentlich eine auf den Kopf gestellte Lamellenverkleidung aus einer Fabrik ist. Der marokkanische Flicken-Teppich stammt von Mansour Modern, und die beiden Armsessel sind von Thonet aus den 1930ern. Der Kaffeetisch ist eine japanische Pforte aus dem 19. Jahrhundert, die von Japanache umgebaut wurde. Und die Bücherregale der Bibliothek sind Originale von Oliver Furth. Der industrielle Rahmen besteht aus pulverbeschichtetem Schiefer und trägt darin maßgefertigte Walnussplatten. Bei der Küche arbeitete Steve eng mit dem Architekten Leonard Temes zusammen, woraus einer der schönsten Räume der Wohnung entstand. Obwohl teils aus Edelstahl, wird das Element abgeschwächt durch dunkles Holz an Schränken und am Boden. Steve verbrachte mehrere Wochenenden damit, verschiedene Kombinationen aus Arbeitsplatte, Schrankfurnier und Spritzschutzwand auszuprobieren. Ein wahrer Geniestreich ist die umlaufende Spritzschutzwand aus Edelstahl. „Ich wollte, dass die Küche nur einen Hauch von Edelstahl hat“, sagt Steve.

ART & BOOKS

Die gesamte Neugestaltung basierte teils auf der Kunstsammlung, die Nick schon zu seiner Zeit als Geschäftsführer von Stubbs vor zehn Jahren anfing anzuhäufen. „Abgesehen davon, dass es meinen Geschmack widerspiegelt, hat jedes Stück einen persönlichen Bezug“, bemerkt Nick. Das große Bild im Wohnzimmer stammt von ihrem Freund Konstantin Kakanias. Konstantin wandelt zeitgenössische Kunst in Satire um, indem er sein avantgardistisches Alter Ego Mrs. Tependris darin einbaut. Die Neunfach-Reprodutkion der WATER TOWERS ist ein Industrie-Foto von Bernd und Hilla Becher. Konstantin hat die Strenge durchbrochen, indem er Mrs. Tependris eingefügt hat, mal wie sie ihrem Pudel Evian einschenkt, mal wie sie im Helikopter wegfliegt. Ein weiterer Künstler, dessen Arbeiten in der Wohnung verteilt sind, ist Emlen Etting. Er und seine Frau gehörten zur feinen Gesellschaft Mitte des letzten Jahrhunderts und arbeiteten gemeinsam für das TOWN & COUNTRY Magazin. Doch nachts widmete sich Etting seiner Arbeit im Stil von TOM OF FINLAND. Sein Atelier lag in sicherer Entfernung zum Haus des Pärchens, wo er nahezu jeden Soldaten und Seemann der Ostküste zum Posen brachte. Nicks Sammlung beinhaltet Abbildungen sowohl der Soldaten als auch der Seemänner Zu der großen Büchersammlung haben beide beigetragen, obwohl die Bibliothek als Schaukasten für Nicks Geschäft dient. Nick hat die modrige Welt der Buch-Raritäten aufgewühlt und sie entstaubt. Er bevorzugt den Humor und die Verlockung. „Nicht jedes seltene Buch verdient es verehrt zu werden“, so Nick.

Bekannt geworden ist Nick durch seinen Urlaubskatalog. Dieser hat eine erzählende Aufmachung und ist gespickt mit interessanten Nebenbemerkungen sowie respektlosem Witz. Der Katalog beinhaltet Bücher über Kunst, Design, Mode, Gesellschaft und Hollywood. Seine Aufmachung richtet sich nicht nur an Sammler, sondern auch an jene, „die eine relativ anspruchsvolle Sicht aufs Leben haben“. Neben seiner Katalogarbeit erstellt Nick komplette Bibliotheken für Privatleute. In Gesprächen interviewt er seine Kunden und erstellt dann auf Grundlage dieser Informationen ihre Sammlungen. „Wir sind nicht alle eifrige Leser“, sagt Nick, „aber wir alle haben unsere Interessen.“ Obwohl die Wohnung gleichzeitig Nicks Arbeitsplatz ist, dient sie in erster Linie als Zuhause. Wenn man das Pärchen fragt, was ihr Zuhause für sie bedeutet, stimmen beide überein, dass sie das Ambiente aus Design und Ausblick lieben, noch mehr aber die dazugehörige Entstehungsgeschichte. /// www.nickharvilllibraries.com

 

Text & Fotos: David Waage