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ARCHITECTURE OF FUTURE PAST
Design
21. April 2021

ARCHITECTURE OF FUTURE PAST

Von asiatischen Kapselhotels, in denen dem Gast auf allerengstem Raum eine Liege und allerhöchstens noch ein Fernseher zur Verfügung stehen, haben die meisten Europäer schon einmal etwas gehört. Diese Schließfachunterkünfte kamen Ende der 1970er-Jahre in Mode und wurden vor allem von Geschäftsmännern und für Sextreffen genutzt. Doch noch vor dem ersten Kapselhotel eröffnete im Tokioer Stadtteil Ginza der Nakagin Capsule Tower. Die Idee von Architekt Kisho Kurokawa, Wohnhäuser in austauschbare Module aufzuteilen, steht heute vor dem Abriss.

Tokio war schon immer eine der größten Städte Asiens. 1720 war es die erste asiatische Metropole mit mehr als einer Million Einwohnern. Um 1900 waren es schon zwei Millionen. Und selbst die Schrecken des Zweiten Weltkriegs konnten den rasanten Bevölkerungsanstieg nur für kurze Zeit aufhalten. 1970 lebten etwa 22,5 Millionen Menschen in der Metropolregion Tokio. Als Teil der japanischen Metabolismus-Bewegung wollte Kisho Kurokawa einen Wohnturm schaffen, der nicht viel Platz benötigte und gleichzeitig erweiterbar beziehungsweise in Teilen austauschbar war und somit in der Lage wäre, mit seiner Umgebung und ihren Bedürfnissen zu wachsen.

 

Auf 13 Stockwerken sind Module an Bolzen angebracht, die als Wohnung oder Bürofläche genutzt werden können. Alle Module sind 2,3 x 3,8 x 2,1 Meter groß. Rund 100 der 140 Einheiten sind momentan in Benutzung. Dabei hätte der Nakagin Capsule Tower längst abgerissen werden sollen. Von der Option, die einzelnen Blöcke durch neue Module zu ersetzen, wurde nie Gebrauch gemacht. 2007 entschied sich das Gebäudemanagement dazu – bestehend aus den Eigentümern der Einheiten –, den Turm abzureißen und das Land an einen Bauherrn zu verkaufen. Der ging allerdings aufgrund der weltweit schwachen Wirtschaftslage bankrott. Heute sind die Eigentümer in zwei Lager getrennt: diejenigen, die das Gebäude aufgrund seiner einzigartigen Architektur erhalten wollen, und die, die Gewinn durch einen Verkauf generieren wollen. Sollte der Streit noch länger als ein Jahr anhalten, kann der Nakagin Capsule Tower als geschütztes Baudenkmal angemeldet werden. Dann wird Japans erstes und einziges Kapselhochhaus fünfzig Jahre alt. ///

 

Der Fotograf Noritaka Minami hat das Leben im Capsule Tower in einer wunderbar friedvollen Bildserie festgehalten: www.noritakaminami.com/project_1972

 

Text: Felix Just