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SESAM, ÖFFNE DICH!
„Coco Chanel hat den Frauen die Freiheit gegeben, Yves Saint Laurent Stärke und Macht.“
17. September 2016

SESAM, ÖFFNE DICH!

Jardin Majorelle, ein strahlend schöner Tag. Schon von weitem leuchtet die Villa Oasis hervor. Schockblau, umgeben von grünen Kakteen und knallbunten Blumenkübeln, thront das Herrenhaus über einem Meer der Farben. An diesem – fast schon surreal schönen – Ort verbrachte Yves Saint Laurent nicht nur eine berauschende Zeit, sondern auch seine letzten Lebensjahre.

 

Aber was führte Yves Saint Laurent nach Marrakesch? Nadia Saadi besuchte die Stadt am Fuße des Atlasgebirges, um den Spuren des großen Designers zu folgen.

Der Jardin Majorelle ist ein wahrhaft inspirierender Ort für einen Kreativen. Der botanische Garten – mittlerweile die wohl meistbesuchte Sehenswürdigkeit der Stadt – wurde 1923 vom französischen Maler Jacques Majorelle erschaffen. Er war es auch, der dem berühmten knalligen Majorelle-Blau seinen Namen gab. „Wir haben den Garten schon 1966 entdeckt. Er war öffentlich zugänglich, aber fast niemand besuchte ihn“, erzählte Saint Laurent in einem Interview. „Als wir später erfuhren, dass hier ein Hotel entstehen sollte, kauften wir das Grundstück mit der Villa.“ Der Garten blieb der Öffentlichkeit auch nach dem Verkauf an seinen weltbekannten Besitzer zugänglich. „Yves Saint Laurent ging oft hier spazieren. Es konnte vorkommen, dass Besucher ihm begegneten oder von weitem sahen“, erzählt Quito Fierro, Kommunikationschef und Generalsekretär des Jardin Majorelle. Fierro kannte Yves Saint Laurent schon seit seiner Kindheit, der Designer war ein Freund seiner Mutter, der Innenarchitektin Jacqueline Foissac. Fast sieht man ihn vor sich, den großen Couturier, wie er in der Djellaba durch den Garten wandelt und seine botanische Sammlung inspiziert. „Er war sehr lustig und intelligent, aber auch sehr schüchtern“, empfindet Fierro.

HIER FANDEN SIE STATT, DIE EXZESSIVEN PARTYS DER POP-BOHÈME

Saint Laurent schenkte dem Garten nicht nur eine erlesene Kakteensammlung, sondern auch eine wilde Geschichte. Hier fanden sie statt, die exzessiven Partys der Pop-Bohème. Unter den geladenen Gästen: Künstlerfürst Andy Warhol, Modelmuse Loulou de la Falaise oder Stilikone und Schauspielerin Talitha Getty. Gleichzeitig wurde der Jardin Majorelle zum Rückzugsort, zur Kreativoase des erfolgreichsten Designers seiner Epoche, der von Paris aus sein wachsendes YSL-Modereich lenkte. „Paris bedeutete vor allem Arbeit. In Marrakesch konnte sich Saint Laurent erholen und Inspirationen sammeln“, erzählt Fierro. Die Homosexualität des Couturiers war in der Stadt wohl kein Problem. „Die Menschen wussten, dass er mit einem Mann zusammenlebte, aber es war kein Thema. Saint Laurent führte ein sehr diskretes Leben.“

 

Yves Saint Laurent und Marrakesch – das ist eine ebenso lange wie intensive Liebesgeschichte. 1966 besuchte der damals 30-Jährige die Stadt zum ersten Mal gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Pierre Bergé. Das Paar war so fasziniert, dass es kurz entschlossen ein altarabisches Herrenhaus, ein sogenanntes Riad, in der Altstadt erwarb. „Dar el-Hanch“, „Das Haus der Schlange“ wurde zum zweiten Wohnsitz der beiden Pariser. Weitere Immobilienkäufe in Marrakesch sollten folgen. Erstaunlicherweise zeigte der Designer, für seine Schüchternheit bekannt, keine Berührungsängste im Umgang mit dem „Volk“. „Er liebte es, durch die Souks der Medina, Marrakeschs Altstadt, zu streifen, den Handwerkskünstlern bei der Arbeit zuzuschauen und auf Entdeckungstour zu gehen“, berichtet Fierro. Von Pariser Snobismus keine Spur. „Er hatte nicht die geringsten Starallüren, war auch nie von Bodyguards umgeben, sondern bewegte sich ganz frei.“ In Marrakesch fand Saint Laurent wohl auch die Inspirationen für einige seiner Entwürfe. Kaftans und Djellabas, die vor allem in seine Prêt-à-porter-Linie „Rive Gauche“ einflossen, zeugen vom Einfluss der Stadt. Vielleicht fand er sogar ein Stück arabisch geprägte Kindheit wieder, schließlich wuchs der Designer in einem Maghreb-Staat auf.

 

MIT ELEKTROSCHOCKS BEHANDELT UND SEDATIVA RUHIGGESTELLT

Zur Welt kam er 1936 in Oran, Algerien. Seine Großeltern waren während des Deutsch-Französischen Krieges nach Nordafrika geflohen. Vater Charles Saint-Laurent, der eine Versicherungsgesellschaft und eine Kinokette besaß, ermöglichte der Familie ein komfortables Leben. Von seinen Mitschülern gehänselt, fand der schüchterne Gymnasiast Zuflucht im Designen von Theaterkostümen. Mit 17 gewann er erste Auszeichnungen bei internationalen Modewettbewerben. Nachdem seine Entwürfe in der französischen Vogue veröffentlicht worden waren, rekrutierte ihn kein Geringerer als Christian Dior. Nach dessen Tod stieg Saint Laurent zum Art Director des großen Haute-Couture-Hauses auf. 1960 wurde der zartbesaitete Créateur zum Militärdienst im Algerienkrieg eingezogen, erlitt aber noch vor der Abreise einen Nervenzusammenbruch und landete in der Psychiatrie. Mit Elektroschocks behandelt und Sedativa ruhiggestellt, nahm hier seine verhängnisvolle Drogenabhängigkeit ihren Anfang. Unternehmer und Lebensgefährte Pierre Bergé war es, der ihn aus der Anstalt holte und ihm half, sein eigenes Label zu gründen. 1961 entstand sie schließlich, die eigene Marke mit den drei magnetisierenden Buchstaben: YSL. Der Namensgeber steckte seine Kundinnen in Anzüge oder Smokings und erlangte Weltruhm. Während die Frauen zunehmend neues Terrain eroberten, Karriere machten und ein Leben nach eigenen Regeln führten, kreierte Saint Laurent den passenden Look zum neuen Lebensgefühl: „Coco Chanel hat den Frauen die Freiheit gegeben, Yves Saint Laurent Stärke und Macht“, brachte es Bergé einst auf den Punkt. Ab Mitte der Siebziger aber ging es steil bergab für das sensible Genie. Nervenzusammenbrüche, Depressionen, Angstzustände – begleitet von Alkohol- und Drogenexzessen, die die Symptome noch verschlimmerten. Saint Laurent selbst hielt eine schonungslose Abschiedsrede: „Ich habe viel Schmerz erlebt, viele Höllen. Ich kenne das Gefühl von Angst und Einsamkeit. Ich weiß, wie Beruhigungsmittel und Narkotika zu abscheulichen Freunden werden können. Und ich verstehe, welch ein Gefängnis Depressionen sind.“ Nach seinem Rückzug aus dem Modezirkus im Jahr 2002 verbarrikadierte sich Saint Laurent zunehmend in seiner Villa im Jardin Majorelle. Die Party war vorbei. „Man sah ihn kaum noch“, erinnert sich Fierro. „Er ging höchstens den ein oder anderen Nachmittag ins Hotel La Mamounia.“ Als hätte der Drogenkranke nicht schon genug gelitten, diagnostizierten die Ärzte auch noch einen Hirntumor. 2008 verstarb Yves Saint Laurent in Paris. Seine Asche wurde im Jardin Majorelle verstreut. /// www.visitmorocco.com

 

Text: Nadia Saadi / Fotos: Jardin Majorelle

17. September 2016 Travel m #41 zum mate.style.lab