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„PORZELLAN IST EINE DIVA!“
Interview
25. Juli 2017

„PORZELLAN IST EINE DIVA!“

1718 brachte Claudius Innocentius du Paquier das Geheimnis der Porzellanherstellung von Meißen nach Wien. Damals war die Produktion des weißen Goldes ein echtes Novum in Österreich. Heute gehört Porzellan so selbstverständlich in das Land von Kaisern und deutschen Prinzessinnen wie Apfelstrudel und Red Bull. Als Kreativdirektorin der Manufaktur Augarten ist Edwige Grossnigg mit allen Geheimnissen der traditionellen Porzellanherstellung vertraut und scheut sich auch nicht vor neuen Herausforderungen.

EDWIGE, DU BIST KREATIVDIREKTORIN DER PORZELLANMANUFAKTUR AUGARTEN. TELLER UND TASSEN ZU ENTWERFEN MAG AUF DEN ERSTEN BLICK NICHT GLAMOURÖS ANMUTEN, UND DOCH HAT SICH AUGARTEN SEIT SEINEN ANFÄNGEN IM 18. JAHRHUNDERT ALS LUXUSHERSTELLER VON PORZELLANWARE ETABLIERT UND IST UNTRENNBAR MIT BEGRIFFEN WIE „ELEGANT“ UND GESCHMACKVOLL“ VERBUNDEN. WORAN, GLAUBST DU, LIEGT DAS?

Das liegt bestimmt an der Faszination des Werkstoffes Porzellan, das in seiner ganzen Geschichte nichts an Reiz eingebüßt hat. Beeindruckend ist ja, dass dieser fragile Werkstoff die Zeiten überdauert hat. Damit verbunden ergibt sich die Verantwortung, Gegenstände und Designs zu schaffen, an denen Menschen auch noch in Jahrzehnten Gefallen finden werden. Das schafft Augarten beständig seit Jahrhunderten.

 

WIE VIELE VON DEN HISTORISCHEN DESIGNS SIND HEUTE NOCH IN ORIGINAL- ODER WEITERENTWICKELTER FORM ZU ERWERBEN?

Der Großteil der von Augarten produzierten Dekore sind historisch oder zumindest eine Weiterentwicklung davon. Die Chinoiserien zum Beispiel von circa 1720. Oder die Dubsky-Vasen: Diese sind Kopien von Stücken aus dem sogenannten „Dubsky-Zimmer“, einer der ersten Zimmerausstattungen mit europäischem Porzellan von circa 1740. Heute steht das Dubsky-Zimmer im Museum für angewandte Kunst in Wien.

AUGARTEN ZEIGT TRADITIONELLE SERVICE, ABER AUCH SO MODERNE OBJEKTE WIE DEN VULPINI-FLAKON VON WENDY & JIM, DER WIE EIN SCHÄDEL AUSSIEHT. NACH WELCHEN KRITERIEN ENTSCHEIDEST DU, WANN EIN DESIGN ZU AUGARTEN PASST?

Jedes Produkt und Design muss mit den Grundwerten der Marke Augarten vereinbar sein. Dies bedeutet hohen, kunsthandwerklichen Anspruch, zeitüberdauerndes Design in Fortsetzung unserer Tradition bei optimaler Funktionalität. Die Funktionalität darf sich dem Design nicht unterwerfen. Das Produkt muss bei allem kunsthandwerklichen Anspruch einen alltagsverschönernden Nutzen mitbringen.

 

WIE MUSS ICH MIR EINEN GANZ NORMALEN ARBEITSTAG ALS KREATIVDIREKTORIN EINER PORZELLANMANUFAKTUR VORSTELLEN? NIMM UNS DOCH MAL MIT INS BÜRO!

Das Schöne ist, dass kein Tag wirklich dem anderen gleicht. Prinzipiell begleite ich Produkte von der Idee bis zum fertigen Stück. Also je nachdem, in welcher Phase sich ein Produkt befindet, beschäftige ich mich mit den dann aktuellen Fragestellungen: Konzeption, Relevanz, Kundenakzeptanz, Gestaltung, technische Herausforderungen, Kalkulation und vieles andere mehr. So interagiere ich in meiner Funktion mit allen Abteilungen. Beispielsweise ist der Formenbau eine meiner wichtigsten Schnittstellen, denn hier stellt sich heraus, ob Ideen technisch umsetzbar sind, beziehungsweise mit welchem Aufwand diese verbunden sind. Am Ende muss schließlich ein verkaufsfähiges Produkt stehen. Auch die Malerei ist wichtig. Bei „Semmel“ und „Krapfen“ stand die Malerei vor der Aufgabe, diese zu 100 Prozent realistisch aussehen zu lassen. So war beispielsweise die authentische Darstellung des Staubzuckers auf dem Krapfen eine echte Herausforderung.

 

KANN TISCHDESIGN CLEVER SEIN?

Tischdesign muss clever sein! Eine Tasse muss gut in der Hand liegen, sie muss in der Größe zum Teller passen. Ein gut designtes Tischservice macht aus, dass es eben nicht nur gut aussieht, sondern vor allem auch funktioniert. Vielleicht meint man fälschlicherweise aufgrund berühmter Designs wie „Maria-Theresia“ oder der „Wiener Rose“, dass die Handmalerei im Vordergrund steht. Vor der dekorativen Gestaltung muss jedoch geklärt sein, dass jedes Produkt in seiner Funktionalität alltagstauglich ist.

 

HAST DU EIN PERSÖNLICHES LIEBLINGSPRODUKT?

Ich habe einige. Dazu zählt zum Beispiel die „Pinocchio“-Vase von Philipp Bruni, die einzigartig ist, oder aber das Teeservice „Orient“ von Ena Rottenberg mit den Köpfen.

WIE VIEL MARKETING-POWER STECKT IN DER MASCHINERIE AUGARTEN? WIE MACHT MAN EINE TASSE ZUM LIFESTYLEPRODUKT?

Natürlich haben auch wir eine Marketingabteilung. Allerdings geht es uns nicht um den Aufbau eines künstlichen Image als Lifestyle-Marke. Wir konzentrieren uns vielmehr auf das Produktmanagement mit dem Ziel, exklusive, hochwertige und ebenso schöne wie funktionale Produkte hervorzubringen, die unsere Kunden als solche wertschätzen. So ist aus der zweitältesten Porzellanmanufaktur Europas über die Jahrhunderte eine authentische Marke erwachsen, die unsere Kunden in ihren Lifestyle – das heißt in die Art und Weise ihrer Lebensführung – aufgenommen haben. Unseren Kunden geht es nicht darum, sich mit unserem Markenimage zu assoziieren, sondern sie teilen mit uns die Freude am Hochwertigen und Schönen.

 

WIE WICHTIG SIND SOCIAL-MEDIA-KANÄLE FÜR EIN UNTERNEHMEN MIT SO VIEL TRADITION UND GESCHICHTE?

Selbstverständlich sind wir in diesen Kommunikationskanälen präsent. Wir müssen in der heutigen Zeit bestehen, und so sind diese Kanäle für uns von großer Bedeutung. Aber unsere Marke findet auch ohne unser Zutun durch den Dialog unserer Kunden in diesen Kanälen statt.

 

WIE VIEL AUGARTEN STEHT BEI DIR ZU HAUSE?

„Stehen“ tut eigentlich nur der „Panther“ von Prof. Barwig. Alle meine anderen Augarten-Teile sind in aktiver Benutzung. Ich habe das Service „Ena“ und das Mokkaset von Hoffmann. Es geht ja nicht darum, Porzellan zu sammeln, sondern sich an dessen Gebrauch zu erfreuen.

WANN WARST DU DAS LETZTE MAL RICHTIG STOLZ AUF EIN PRODUKT?

Ich habe an jedem Produkt Freude und bin immer stolz, wenn ein von uns konzipiertes Produkt realisiert wird. Besonderen Spaß habe ich an Spezialaufträgen, die uns immer wieder vor Herausforderungen stellen. So haben wir zuletzt eine über einen Meter hohe Figur modelliert. Das ist die größte Figur, die wir jemals gefertigt haben. Da konnten wir nicht auf langjährige Erfahrungswerte zurückgreifen. Aber wir haben großartige Mitarbeiter im Haus, und mit vereinten Kräften ist uns da etwas Wunderschönes gelungen.

 

KANN JEDER KREATIVDIREKTOR VON AUGARTEN WERDEN? WAS MUSS ICH FÜR DIESE POSITION UNBEDINGT MITBRINGEN?

In erster Linie, wie der Name es schon sagt, ein Maß an Kreativität, das über das Normale hinausgeht, kombiniert mit dem Fachwissen, was mit unserem besonders anspruchsvollen Werkstoff möglich ist. Auch ich habe über ein Jahr lang alle Produktionsstufen durchlaufen, um wirklich hands-on zu lernen und damit zu verstehen, wie Porzellan funktioniert. Eine ehemalige Kollegin prägte den Satz: Porzellan ist eine Diva! Das kann ich nur unterstreichen. /// www.augarten.at

 

Interview: Felix Just