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NAMIBIA
Rauf auf Big Daddy!
18. August 2018

NAMIBIA

Im imperialistischen Gerangel des 19. Jahrhunderts erhob das Deutsche Reich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Ansprüche auf den westlichen Teil Afrikas. Nach gut fünfzig Jahren unter südafrikanischer Kommandantur fährt man nun zwar in Namibia immer noch auf der linken Straßenseite, aber der Einfluss, den die Deutschen von 1884 bis 1915 hinterließen, prägt das Land noch heute. So findet zum Zeitpunkt unseres Besuchs in der Hauptstadt Windhoek die deutsche Schlagernacht mit Heino statt, die wir leider verpassen, da wir direkt nach Sossusvlei ins Little Kulala Camp von Wilderness Safaris weiterfliegen. Das Flugzeug ist in Namibia das bevorzugte Transportmittel für Touristen. Das Land ist mehr als doppelt so groß, wie die Bundesrepublik Deutschland und hat gerade mal 2,1 Millionen Einwohner.

In einer kleinen Lounge am Flughafen von Windhoek wartet man bei freiem Internetzugang darauf, dass man von einem der flotten Piloten persönlich zu seiner Cessna mitgenommen wird. In einem Zehnsitzer mit zwei Propellern holpern wir in kurzen 30 Minuten in unsere erste Lodge, um die berühmten roten Dünen Namibias zu erkunden. Der Januar gilt zwar als Regenzeit und zählt somit zur Nebensaison für Namibia, aber der Klimawandel macht auch vor diesem Flecken Erde nicht Halt. Die Temperaturen in der Wüste klettern tagsüber schnell über 30 Grad, und schon bald weiß man den Luxus der klimatisierten Chalets zu genießen. Bei der Begrüßung werden wir außerdem gefragt, ob wir nachts nicht draußen schlafen möchten, denn in jedem Haus führt eine Treppe aufs Dach, wo man uns ein vollwertiges Bett aufgebaut hat! Ein einmaliges Erlebnis dann, in völliger Dunkelheit den überwältigend klaren Sternenhimmel Afrikas über sich zu haben, gleich einem Duvet aus Diamanten. Selbige, die unter der Erde wachsen, sind es übrigens, denen Namibia seinen Wohlstand, wenn man das so nennen darf, verdankt. Der Abbau von Diamanten, Uran und anderen Edelmetallen ist die Haupteinnahmequelle des Landes, gefolgt von Agrarwirtschaft und Tourismus, der sich immer schneller in Richtung zweiter Stelle schiebt. So finanziert das Land allen Kindern seit neustem die Schulausbildung und kauft Schuluniformen und Bücher für ärmere Familien.

Mit der aufgehenden Sonne beginnt unser erster Tag in der Wildnis Namibias. Gemeinsam mit einem älteren amerikanischen Ehepaar, das bereits 150 Länder der Erde bereist hat, werden wir im Land Rover in den angrenzenden Nationalpark Sossusvlei gefahren, in dem sich die roten Sanddünen Namibias bis zum Ozean erstrecken. Jede Düne ist einzigartig in ihrer Form und Farbe. Zweimal bitte ich um einen Halt, um ein Foto machen zu können, doch schnell wird mir von unseren Mitreisenden klargemacht: „We want Big Daddy!“ Nicht wissend, um wen oder was es sich bei „Big Daddy“ handelt, entschließe ich mich, nicht weiter nachzufragen, sondern mich überraschen zu lassen. Wer will denn schon ein Weihnachtsgeschenk auspacken, wenn er schon weiß, was drin ist? Und so fahren wir schnurstracks weiter zum Ziel der Träume, der höchsten Düne des Nationalparks: Big Daddy. Etwas ernüchtert erreichen wir einen riesigen Parkplatz mit vielen Autos und noch mehr Menschen. Keiner von ihnen schaut nach rechts oder nach hinten oder nach vorne. Wie die Lemminge stapfen sie durch den Wüstensand. Die Schwächeren rechts am Daddy vorbei – und die Harten? Jawohl! Im Gänsemarsch über den Kamm der Düne hinauf auf ihren Gipfel. Rauf auf Big Daddy! Unser Guide hat Verständnis mit mir, als ich ihn bitte, alleine nach rechts gehen zu dürfen und später zur Gruppe zu stoßen. Und so bin ich nach ein paar Schritten schon weg vom Disneyland-Trubel und in meiner Wüste. Ein paar Schritte, ein Hügel und ich war allein. Nur roter Sand und blauer Himmel – so hatte ich mir das vorgestellt. Erst durch das Ausgesetztsein und die Einsamkeit kann eine Wüste ihre Wirkung entfalten. Aber auch der Rest hat seinen Spaß: Vom Big Daddy kann man nämlich jauchzend runterrutschen oder sliden und die Fahrt mit Selfie-Sticks filmen.

Den Nachmittag verbringen wir in unserem Chalet, wo nur ein Gemsbock neugierig vorbeischaut, als wir uns im privaten Pool mit einem Campari-O etwas treiben lassen, bevor uns ein weiterer Ausflug in einen beeindruckenden kleinen Canyon führt. Danach folgt eine weitere romantische Nacht unter freiem Sternenhimmel und wir können ausschlafen, da das einzige Vorhaben am nächsten Tag ein Flug in den Norden sein sollte. – Anderentags haben wir Glück und die Sicht ist klar, sodass unsere Piloten Haiko und Reinhard uns nicht direkt ins Camp fliegen, sondern einen Erkundungsflug mit uns machen. So sehen wir nun die roten Dünen von oben. Spektakulär erstreckt sich der Sand unter uns bis zum Ozean, dessen Küste wir folgen. Das Industriegebiet um Swakopmund ist ebenso spannend wie die bunten Felder zur Salzgewinnung. Dazwischen sammeln sich in absoluter, wüstenleerer Einsamkeit Robben am Ufer, gelegentlich taucht das Wrack eines riesigen Schiffes auf und das Wort „gestrandet“ erklärt sich bildlich. Unser Kurs geht ins Landesinnere, wo atemberaubende Formationen dem Grand Canyon ähneln. Nach gut eineinhalb Stunden, als wir den Brandberg, der seinen Namen durch die Färbung bei untergehender Sonne trägt, hinter uns lassen, taucht auf einmal im Nichts eine Landebahn auf – wir sind am Ziel. Die nächsten zwei Nächte dürfen wir im Camp Doro Nawas verbringen. Bei diesem Ausrufezeichen bitte einmal mit der Zunge schnalzen, damit’s stimmt. Das Camp zählt nicht zur Luxuskategorie von Wilderness Safaris und hat somit auch keine Klimaanlage. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass wir eher eine Heizung brauchen und draußen zu schlafen keine Option ist. Hier im Norden wird es nach Sonnenuntergang wesentlich kühler, und nun wissen wir, warum wir unsere Pullover einpacken sollten. Noch am Abend machen wir uns auf die Suche nach einer Elefantenherde, die in der Nähe umherstreunt. Wir hoppeln durch ausgetrocknete Flussbetten, bis wir sie trottend und futternd finden. Unser Guide hat genug Zeit eingeplant, sodass wir eine Weile einfach mit ihnen mitfahren und die Harmonie ihrer Wanderung erleben können.

In Namibia leben verschiedene ethnische Gruppen. Die Treesleeper zum Beispiel, die so heißen, weil sie wegen der wilden Tiere in der Region um Etosha zum Schlafen auf die Bäume gehen. Und die Damara, die wir heute näher kennenlernen sollen. Wir fahren in ein von Hand gebautes Dorf, das die ursprüngliche Kultur dieser Gruppe zeigt: einfache Hütten aus Sträuchern und die Menschen sind nur mit Ziegenhäuten bekleidet, die Damen sind oben ohne unterwegs. Wir werden warmherzig empfangen und von einer Damara durch „ihr“ Dorf geführt. In jeder Hütte wird deren Zweck erläutert, wir lernen eine Art Damara-Backgammon und sehen dabei zu, wie Ziegenhäute gegerbt werden und Knopflöcher gebohrt, Feuer gemacht und Kupfer geschmiedet wird.

 

Am spannendsten aber ist der Moment, als uns die sichtlich gelangweilte ältere Damara-Schamanin in ihrer Klick-Sprache die Bräuche erklärt – übersetzt von einer jüngeren Damara-Frau. Die rote Farbe nämlich, die die Damara aus Felsengestein gewinnen und auf der Haut tragen, dient als Sonnenschutz. Allerdings tragen sie nur die Frauen. Wenn Männer das tragen, dann denkt man, sie seien schwul, erklärt sie. Das war natürlich eine Aufforderung. Nachdem unsere einzige Frau in der Gruppe ihre Wangen gerötet bekommt, hält mein Partner seine hin. Noch einmal betont sie, es sei ja nur für Frauen, worauf hin ich etwas zögernd sage: „Na ja, wir sind schwul.“ Sie bricht sofort in Gelächter aus und kichert klickend. „Auf Damara heißt das ta!stklah’hh!“. Auf einmal erwacht unsere eben noch gelangweilte Schamanin und gluckst freudestrahlend. Das ist bei Damaras ganz normal. Kein Problem! /// de.wilderness-safaris.com

 

Text & Fotos: Vasco Pridat

18. August 2018 Travel m #52 zum mate.style.lab