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MIT DEM ZUG
DURCH OSTEUROPA
„Ich höre nachts die Lokomotiven pfeifen.“
28. April 2018

MIT DEM ZUG DURCH OSTEUROPA

1846 wurde die erste Eisenbahnstrecke in Ungarn in Betrieb genommen – elf Jahre nach der Jungfernfahrt der ersten Dampflokomotive in Deutschland. Der Ausbau des Schienennetzes ließ in Osteuropa auf sich warten, und so kommen Ungarn und Rumänien heute zusammen auf rund 17.000 Kilometer, während es in Deutschland knapp 30.000 Kilometer sind. Dennoch ist und bleibt die Eisenbahn das bevorzugte Transportmittel in osteuropäischen Ländern, auch und gerade weil hier nur wenige und schlecht befestigte Autobahnen gebaut wurden. Mate hat sich in die Spur begeben, Rumänien, Ungarn und die Slowakei mit dem Zug zu erkunden.

BUKAREST

Mit fast 2 Millionen Einwohnern ist Bukarest im internationalen Vergleich eine eher kleine Hauptstadt, gegenüber den Hauptstädten früherer sowjetischer Satellitenstaaten allerdings eine der bevölkerungsreichsten. Statistisch gesehen besitzt jeder zweite Einwohner hier ein Auto, und so ist der erste Eindruck, der sich dem Besucher bietet, vor allem dieser: Es ist geschäftig. Dabei sind mindestens zwanzig Prozent der Autofahrer NICHT auf dem Weg zur Arbeit. Die Arbeitslosenquote ist in der Hauptstadt drei Mal so hoch wie im gesamten Land. Überhaupt geht es den Menschen in Bukarest schlecht, mag man unserer Stadtführerin glauben: keine Perspektive, keine Aussicht auf ein besseres Leben, ständige Überwachung.

Wir passieren das Parlamentsgebäude. Es ist eines der flächenmäßig größten Gebäude der Erde und war bis 1989 Sitz des Diktators Nicolae Ceaușescu. Ihre Tochter, so unser erboster Guide, wird von den Jahren der Unterdrückung zumindest in der Schule nie etwas erfahren. Die Zeit, in der Ceaușescu die Macht innehatte, wurde schlichtweg aus den Geschichtsbüchern Rumäniens gestrichen.

Es geht weiter. Wir erreichen das Villenviertel der Stadt, das ehemalige Zuhause von Politikern und Oligarchen. Neben uns hält ein schwarzer Jeep. Eine Frau in ihren späten 50ern mit aufgespritzten Lippen raucht genüsslich eine schneeweiße Slim-Zigarette. Viele der alten Häuser sind heute unbewohnt und verrotten einsam vor sich hin. Nur Anwesen wie das eines einstigen Fußballmanagers erstrahlen noch im alten Glanz. Vor der Villa stehen zwei gut gelaunte Bodyguards und unterhalten sich. Ein roter Teppich reicht von der Haustür bis an das Tor. Im Stadtzentrum wurden viele historische Gebäude ganz einfach plattgemacht, um Platz zu schaffen für brutalistische Betonbauten und schimmernde Glasfassaden. Eine Schande, knurrt unser Guide. Im Stadtzentrum – genauer auf der Rooftop-Bar des Pura Vida Hostel – bietet sich uns aber ein ganz anderes Bild von Bukarest und seinen Bewohnern. Hier knurrt niemand und die Aussicht auf die von der untergehenden Abendsonne verwöhnten, bronzefarben glänzenden Dächer wirkt gar nicht mehr so düster, wie eben noch im Tourbus. Das junge Bukarest, das hier abends den Tag ausklingen lässt, blickt der Zukunft hoffnungsvoll entgegen und erzählt in akzentfreiem Englisch von einem Rumänien, das weltoffen ist und ambitioniert.

ALLES EINSTEIGEN!

Auch wenn wir dafür in Budapest mit einem der schönsten Bahnhöfe Europas entschädigt werden sollen, der Bahnhof in Bukarest macht keine große Lust auf die Zugfahrt. Und trotzdem: Wer von Service und Ausstattung der Züge in den ehemaligen Ostblockstaaten einen gewissen „Un-Charme“ erwartet, der wird enttäuscht. Zwar können die Züge nicht mit dem Standard der ersten Klasse der Deutschen Bahn mithalten, aber seit der fortschreitenden Zuwendung zum Westen hin hat auch hier eine Sanierung stattgefunden. Im Zug von Budapest nach Bratislava sollen wir ein paar Tage darauf sogar in einem der besten Bordrestaurants sitzen, in dem wir in einem Zug je gegessen haben.

Während in Deutschland und andernorts die Angebote für Nachtfahrten immer weiter eingestampft werden, ist der Nachtzug in Osteuropa eine viel genutzte Alternative zu Auto und Flugzeug. Es besteht die Möglichkeit, Tickets für die erste oder zweite Klasse zu erstehen oder die Fahrt in einer der wenigen privaten Schlafkabinen zu verbringen, was wir an dieser Stelle unbedingt empfehlen, da die öffentlichen Bereiche wenig Komfort bieten. Wer sich auf das Abenteuer „Nachtzug“ einlässt und über die knappe Weinkarte der Bar hinwegsieht, wird am Morgen von einem fahrenden Panorama der saftigen und urigen Heidelandschaft Osteuropas beschenkt, das sich gemächlich seinem Nachtgewand aus Nebelschwaden entledigt. Alle Privatkabinen im Zug von Bukarest nach Budapest sind mit einem Waschbecken, einem Spiegel und bis zu drei Liegen ausgestattet.

BUDAPEST

Die ungarische Hauptstadt an der Donau mit ihren imposanten Brücken ist in einem Wort „einfach-wunderschön“. Die gut erhaltenen oder nach dem Krieg mühevoll renovierten oder wiederhergestellten Prachtbauten wie das 1918 erbaute Hotel Gellért, die Staatsoper oder der Burgpalast auf dem Burgberg machen sofort verliebt. Anders als Bukarest verströmt Budapest schon bei der Ankunft ein Gefühl von Großstadtleben und westlicher Konsumfreude. Das Nachtleben erinnert an die Fress- und Partymeilen Barcelonas und anderer mediterraner Großstädte. Wer die Zeit und Geduld aufbringt, nicht schon nach den ersten Metern einzuknicken und sich zwischen britischen und deutschen Touristen auf einer Bierbank niederzulassen, wird mit gastronomischen Perlen wie der Doblo Bar nahe dem Palastviertel belohnt. Hier finden wir neben regionalen Tapas endlich auch eine großzügige Weinkarte.

Weitere Highlights einer solchen Zugreise durch Osteuropa sind unter anderem Brașov in Rumänien und die slowakische Hauptstadt Bratislava. Brașov, das auch bekannt ist für seine wunderschöne Altstadt, beherbergt eine der größten Touristenattraktionen Transsylvaniens: Das Schloss Bran, das den meisten Besuchern besser bekannt ist als Dracula Castle. Tatsächlich hat Vlad III. Drăculea nur zeitweise im Schloss Bran gelebt, und ob er tatsächlich die Inspiration für Bram Stokers Romanfigur war, bleibt umstritten. Manch einer behauptet nämlich, die Deutsche Eleonore von Schwarzenberg, die im Blut junger Mädchen gebadet haben soll, wäre die eigentliche Muse für Stokers Gruselgeschichten gewesen. Lediglich der Fakt, dass man Frauen zur Entstehungszeit des Romans solche Gräueltaten nicht zutraute, hätte ihn bewogen, sich einen anderen Namensgeber (und ein anderes Geschlecht) für seine Figur zu suchen. Höhepunkt des Besuchs im Dracula-Schloss ist aber gar nicht die Geschichte hinter dem weltweiten Bestseller von 1897, sondern der Burgexperte, der innerhalb einer rund 20-minütigen Tour ein Comedyprogramm abspult, so perfekt getimt, dass wir ihn später fragen, woher er denn sein komisches Talent habe. Spontaneität aber scheint seine Stärke nicht zu sein, und so bleibt er uns bis auf schüchternes Drucksen eine Antwort schuldig. /// de.interrail.eu

 

Text: Felix Just