MEDELLÍN
Seit knapp drei Jahren herrscht Waffenstillstand zwischen der paramilitärischen Einheit FARC und dem kolumbianischen Staat. Die Städte wachsen und die Infrastruktur des Landes wird weiter ausgebaut. Der Tourismus boomt. Allein in 2016 verzeichnete das Handelsministerium knapp drei Millionen Besucher. Die Urlauber aus Europa und den USA – gemeinsam machen sie 35 Prozent aller Touristen aus – kommen hierher wegen der einzigartigen Natur, wegen des quirligen Nachtlebens in den Großstädten und natürlich wegen des kolumbianischen Lebensgefühls.
KOLUMBIANER, DIE BESSEREN LATINOS?
Liebe Spanier, manchmal seid ihr schlichtweg zu laut für uns lauwarme Deutsche. Bei aller Sympathie für meine spanischen Freunde, aber wer schon einmal im Flieger nach Andalusien drei Stunden auf engstem Raum mit einer Gruppe von acht Spanierinnen in den besten Jahren verbracht hat, der überlegt es sich zweimal, bevor er wieder in Deutschlands Lieblingsurlaubsland mit dem schönen König fährt. Die Kolumbianer hingegen sind eher zurückhaltend und der Lautstärkepegel beispielsweise in den öffentlichen Verkehrsmitteln kaum messbar. Apropos schön: Die Kolumbianer schlagen die Spanier auch in ganz oberflächlichen Belangen. Das ist nicht nur die persönliche Meinung des Autors, sondern sogar statistisch bewiesen! In einer Umfrage des Miss Travel Blogs aus dem Jahr 2016, an der mehrere 10.000 Menschen teilnahmen, landete Kolumbien auf Platz 5 der Länder mit den schönsten Menschen. Spanien tauchte in den Top Ten gar nicht erst auf.
Macht das die Kolumbianer eitel? Vielleicht. Auf dem Flug von Bogotá nach Medellín beobachten wir eine junge Kolumbianerin, wie sie eine volle Stunde damit zubringt, ihre Urlaubsfotos nach guten und weniger guten Aufnahmen zu sortieren und dabei Fotos, auf denen ihre vermeintliche Freundin zu sehen ist, eiskalt in den Papierkorb befördert.
SO MUCH TO SEE
El Poblado im Südosten von Medellín, Kolumbiens zweitgrößter Metropolregion, mit seinen vielen Wolkenkratzern und einer 1 Kilometer langen Amüsiermeile ist sehr sicher und mutet architektonisch an wie eine Mischung aus Monaco und Palma de Mallorca. Nur ist El Poblado etwas weniger hässlich und so schön grün, wie man es eben von einer Metropole in Südamerika erwartet. Wer sich hier in einer der vielen Wohntowers ein Apartment mietet, sollte unbedingt daran denken, ein Fernglas einzupacken. Gerade nachts kann man Stunden damit verbringen, auf die weiter unten liegenden Teile der Stadt zu schauen, denn die 14. Kommune Medellíns liegt auf einem Hügel.
In der bereits erwähnten Amüsiermeile, der Calle 10 und 10A, findet man zahllose Restaurants, Sexshops, traditionelle Sattelmacher, Möbel- und Dekogeschäfte, Brautläden, Internetshops, Schneider, Music-Stores und in der Nähe des Parque El Poblado einen Markt, auf dem Einheimische Hängematten, kolumbianische Brettspiele und allerlei Schnickschnack verkaufen. Unter dem dichten Dach aus Palmenblättern sitzen Straßenkünstler und fertigen Bilder im Kandinsky-Stil an, Dogwalker sind mit bis zu zwanzig kleinen und großen Hunden unterwegs. Fast alle Parks in El Poblado verfügen über WiFi, allerdings muss man sich für den Zugang zuvor mit seiner E-Mail-Adresse oder dem Social-Media-Profil anmelden. Eine echte Streetfood-Meile sucht man in El Poblado vergebens, dafür gibt es eine Vielzahl von Bars, die auch Snacks und typisch kolumbianische Speisen wie die Paisa-Platte oder Bandeja Paisa anbieten, einen Mix aus Bohnen, Spiegelei, Reis, Avocado, Schweinebauch und frittierter Banane. Die Restaurants in der Gegend servieren hingegen vor allem internationale Küche und Experimental Food. Diesem Begriff wird besonders das El Cielo (www.elcielorestaurant.com) gerecht. In neun Gängen kommen die wahnsinnigsten Kreationen auf den Teller. Zwischendurch darf der Gast seine Hände in flüssiger Schokolade und gemahlenen Kaffeebohnen waschen. Was zunächst merkwürdig klingen mag, hat im Selbstversuch tatsächlich für babyzarte Hände gesorgt. Wem der Sinn nach einem leichten Mittagessen steht, der ist mit dem Rocoto in der Carrera 33, #8a-14, bestens bedient. Die Terrasse ist von einem Urwald aus exotischen Pflanzen umgeben und die Küche sowie die Präsentation sind außerordentlich gut.
Zwar liegen mit dem Donde Aquellos, dem Miró und dem Escopolamina’s gleich drei Szenebars bzw. -klubs in El Poblado, ein echtes Szeneviertel allerdings existiert, auch wenn die Kolumbianer heute sehr liberal und tolerant sind, in ganz Medellín nicht. Der größte Nachtklub, die Viva Discoteca, befindet sich in der Carrera 74, #49B-25, im westlichen Teil der Stadt.
Im urbanen Zentrum oder „Downtown“ ist es wahrscheinlich am ehesten so, wie sich der deutsche Tourist – Mate-Autoren eingeschlossen – eine kolumbianische Millionenstadt wie Medellín vorstellt: Graffitis, der Geruch von frittiertem Hühnchen und viele, viele Menschen. Dennoch fühlt man sich auch hier tagsüber sicher. Viele Kolumbianer sprechen ein wenig Englisch und sind Fremden gegenüber sehr hilfsbereit. Am besten erkundet man Medellín mit dem sehr guten öffentlichen Verkehrssystem. Es gibt Busse, eine Metro, Straßenbahnen und drei Seilbahnen, die auf die umliegenden Berge führen.
Rund um die Metrostation Parque Berrío befinden sich das Museo de Antioquia und der Palacio de la Cultura. An den unzähligen Straßenständen werden gefälschte Sonnenbrillen verkauft, gefälschte Taschen und gefälschte DVDs. Und übrigens auch jede Menge Pornos.
Den botanischen Garten, eine Sternwarte und den Vergnügungspark Parque Norte. findet man etwas weiter nördlich, direkt an der Haltestelle Universidad.
Es gibt natürlich noch immer Gegenden, die selbst die Einheimischen meiden und vor denen sie uns Gringos, wie die Touristen hier genannt werden, warnen. Dazu gehört Medellín Downtown bei Nacht und auch das Barrio Trinidad, aka Barrio Antioquia. Wenn die Drogendealer nicht gerade Stunts auf ihren Motorrädern fahren, waschen sie die Windschutzscheibe von eintreffenden Autos – ein Vorwand, versteht sich, für andere, weniger legale Dienstleistungen. Überall ist die Polizei präsent. Die meisten Beamten sind allerdings geschmiert, sodass die Dealer ungestört ihren Geschäften nachgehen können.
Aus dem Barrio Trinidad stammt übrigens auch der Ausspruch „You give papaya“, was so viel bedeutet wie „Du bist bekloppt“ und sich auf die Obstverkäufer auf der Straße bezieht. Die wohlhabenderen Gemeinden, in denen es nur sehr wenige dieser Obststände gibt, antworteten darauf mit dem Wortlaut „I don’t give papaya“, der als Graffiti an so mancher Straßenecke zu sehen ist.
GET AWAY FROM IT ALL
Medellín hat ein Luftproblem. Die Luftverschmutzung ist zwar nicht so dramatisch wie beispielsweise in Lima, Peru oder Santiago de Chile, dennoch ist die Belastung mit Schadstoffen sehr hoch und eine der größten Sorgen von Touristen und Auswanderern. Zum einen liegt die schlechte Luftqualität an den mitunter veralteten Dieselmotoren der großen und kleinen Trucks, zum anderen wurde Medellín in einem Tal gebaut, sodass die Schadstoffe an den Bergen „hängen“ bleiben. In den höher gelegenen Kommunen wie El Poblado sind die Verschmutzungswerte niedriger als im Zentrum.
Man bleibt also besser dort und beschränkt sich auf kurze Ausflüge in das Tal oder man flieht gleich ganz aus der Stadt. Eines der beeindruckendsten Naturphänomene Kolumbiens ist der El Peñón de Guatapé oder El Peñol, ein riesiger Fels in der künstlichen Seenlandschaft von Antioquia, etwa zwei Autostunden von Medellín entfernt. Die insgesamt 740 Stufen bis zur Aussichtsplattform auf der Spitze des Felsens sind nichts für schwache Lungen. Oben angekommen, wird der willige Treppensteiger auf The Rock aber mit einer einmaligen Aussicht belohnt. Und wenn man wie wir Glück hat, wird man von einem Straßenmusikanten begrüßt, der, mit einer Gitarre bewaffnet, dem Erlebnis eine unverhoffte Romantik verleiht. Wir fragen uns, ob er hier jeden Tag spanische Coverversionen zum Besten gibt. Der Junge muss einen Arsch aus Stahl haben.
Dass der Fels gleich zwei Namen trägt, ist der Tatsache geschuldet, dass sowohl das Dorf Guatapé als auch das Dorf Peñol das Naturdenkmal für sich beanspruchen. Um den Streit ein für alle Mal zu beenden, begannen die Bewohner von Guatapé, ein Graffiti an einer Seite des Felses anzubringen. Als das Nachbardorf davon erfuhr, mobilisierten sie einen Mob, der die Guerilla-Malerarbeiten beendete. So stehen heute lediglich ein G und ein unvollendetes U an der Felswand. ///
Text: Felix Just / Fotos: Felix Just & Hendrik Techel
SÍ? NO? TAL VEZ!
Wer glaubt, er könne sich mit seinem in Europa aufgeschnappten Spanisch in Kolumbien genauso gut verständigen wie in Madrid, liegt zumindest teilweise richtig. Zwar verstehen die Spanier die Kolumbianer und andersherum, viele Worte und Phrasen sind aber völlig anders oder werden in einem anderen Kontext verwendet: „atasco“ oder „retencíon“, also „Verkehrsstau“, heißt in Kolumbien zum Beispiel „taco“. Statt „de nada“ sagt man in Kolumbien „con mucho gusto“ oder einfach „con gusto“. Und wer sagen will, dass ihm heiß ist, sollte auf das spanische „caliente“ verzichten, da dieses Adjektiv für „heiß“ hier vor allen Dingen für sexuelle Erregung steht.
Schlagworte: Kolumbien, Travel