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IST DAS ECHT?
Nordkorea
28. August 2020

IST DAS ECHT?

Nordkorea – ein Land, in dem jegliche Religion durch einen absoluten Kult auf den Anführer ersetzt wurde. Obwohl wir darauf bedacht waren, ohne Vorurteile in dieses Land zu reisen, blieb die Frage, was echt und was unecht ist, allgegenwärtig. Der anfängliche Eindruck, wir befänden uns in einem Filmset – Assoziationen mit der „Truman Show“ mit Jim Carrey in der Hauptrolle drängten sich auf –, wurden abgelöst von der Erkenntnis, dass es sich tatsächlich um das ganz normale Leben der Nordkoreaner handelt. Es sollte die außergewöhnlichste Reise meines Lebens werden.

DIE EINREISE

An Terminal 2 des Flughafens Peking steht eine Maschine des russischen Flugzeugbauers Tupolew bereit, die uns in die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang bringt. Auf dem nur zweistündigen Flug gibt es einen Snack – den berühmten Burger der nordkoreanischen Fluggesellschaft Air Koryo – und Kaffee. Alles normal und freundlich wie bei jeder anderen Airline auch. Es wird die Pyongyang Times verteilt, natürlich mit dem Abbild des Obersten Führers auf der Titelseite. Der kubanische Präsident war gerade zu Besuch. Knicken oder gar Beschädigen der Zeitung, und damit das Bild des Anführers, gilt als respektlos, und so falten wir sie behutsam um das Konterfei herum, bevor wir sie sicher verstauen. Bei der Landung gehen uns schlimmste Gedanken rund um die Einreise durch den Kopf. Welche Fotos oder Texte sind auf dem Handy, welche Fragen könnten gestellt werden? Doch dann: ein freundliches Lächeln und ein schneller Check des Zolls – alles entspannter als erwartet. Der vor wenigen Jahren eröffnete Flughafen verwundert vor allem durch seine moderne Erscheinung und voll besetzten Schalter. Völlig unbekannt in der kapitalistischen Einspargesellschaft.

Im Bus stellt sich neben den beiden Guides auch der Chef des koreanischen Reisebüros vor. Wir nennen ihn ab da nur noch den Stasi-Mann. Er stellt unentwegt Fragen in schlechtem Englisch und weicht uns nie von der Seite. Auch ein Kameramann für das „Abschlussvideo“ wird immer dabei sein, und weitere Männer in seltsamen Jacken, die in diskretem Abstand um uns herumlaufen, gehören zu unserer Tour.

 

Und dann beginnt die Zeitreise. Autos sieht man in Pjöngjang kaum (die, die es gibt, sind allerdings neu), die Mode scheint aus vergangenen Jahrzehnten zu stammen und nirgendwo ist Werbung zu sehen. Nur vereinzelt hängen hier und da Propagandaplakate oder Bilder der verstorbenen Führer. Eigentum und Miete gibt es übrigens nicht in der Demokratischen Volksrepublik Korea (DPRK). Man bewirbt sich um eine Wohnung und bekommt sie ganz einfach zugeteilt.

ANKUNFT IM HOTEL

Wir werden in einem frisch renovierten Zimmer untergebracht, das uns wohl zeigen soll, was das stark sanktionierte Land zur Verfügung hat. Man ist darauf bedacht, Eindruck zu schinden, egal um welchen Preis. So sehen wir aus dem 28. Stock die drei Millionen Einwohner starke Stadt Pjöngjang in der Dunkelheit verschwinden. Nur die wichtigsten Straßen haben noch Licht, generell wird mit Strom sparsam umgegangen. Im Hotel jedoch bleibt alles hell.

An der Bar werden – wie an allen Orten, die wir besuchen dürfen – Yuan, Dollar und Euro akzeptiert. Das Land braucht Devisen und öffnet sich deshalb auch immer stärker dem Tourismus. Noch sitzt die Kellnerin am Klavier und beeindruckt mit ihrem musikalischen Talent. Ungewöhnlich: Sie spielt „Für Elise“ statt koreanischer klassischer Musik. Eine Gruppe junger russischer Sportler, die zum freundschaftlichen Austausch im Land sind, hört gebannt zu und man meint, dieser Besuch sei für sie alltäglich. Es darf geraucht werden. Wie überall im Land.

DER NÄCHSTE MORGEN

Die dreistündige Fahrt zur demilitarisierten Zone im Süden wird holperig. Die Autobahn ist vielmehr eine Achterbahn, anderen Autos begegnet man nur sehr selten. Es geht durch drei militärische Checkpoints. Kein Bürger darf ohne Erlaubnis seine Provinz verlassen, die Hauptstadt ist Sperrzone. Überall stehen Militärs. Auch, wenn angeblich jeder zehnte Nordkoreaner dem Militär angehört, bedeutet das sehr oft nur einen Dienst an der Gemeinschaft, und so sehen wir immer wieder Soldaten, die Häuser oder Straßen bauen oder auf den Feldern helfen.

Eine Südkoreanerin, die mit uns reist und mittlerweile in Australien lebt, fällt während unseres Trips einem hochrangigen Grenzsoldaten in die Arme und begrüßt ihn als ihren Bruder. Wie sich zeigt, sind der einzige Feind die USA und dem nordkoreanischen Regime zufolge die Schuldigen für die Trennung. In Kriegsmuseen und an Denkmälern wird die Trennung immer wieder mit großem Leid verknüpft und der Hoffnung, sich wiederzuvereinigen. Es gibt Momente, die mich an die Erzählungen meiner Familie aus DDR-Zeiten erinnern. Die berühmten sieben Hütten, an denen sich im April 2018 der nordkoreanische Führer Kim Jong-un und Moon Jae-in, der Präsident Südkoreas, getroffen und Friedensverhandlungen begonnen haben, waren Auslöser für diese Reise. Wir waren zu diesem Zeitpunkt auf der südkoreanischen Insel Jejudo und haben erlebt, wie Menschen durch die Hoffnung auf Wiedervereinigung in Tränen ausgebrochen sind. In Nordkorea dürfen wir nun feststellen, dass dieser Wunsch auch hier, sogar offiziell, groß ist.

 

Beim Lunch und auch beim Abendessen gibt es Kimchi, Ente, Huhn, viel Gemüse, Reiskuchen, aber auch Suppe mit Hund. Dazu meist Bier, für uns Tee. Es werden Unmengen an Essen herangetragen, und das schlechte Gewissen, dass die meisten Menschen in diesem Land solche Portionen wohl eher selten zu Gesicht bekommen, macht sich breit.

Den wohl skurrilsten Moment stellt der Besuch des Kumsusan-Palasts der Sonne in Pjöngjang dar, dem Mausoleum der beiden verstorbenen Führer. Mit Krawatten und auch sonst respektvoll gekleidet schreitet man in Viererreihen durch den Innenhof, um danach auf endlosen Rollbändern durch Korridore zur großen Halle transportiert zu werden.

 

Die Hände müssen neben dem Körper gehalten werden, es herrscht absolutes Handy- und Kameraverbot, Metallscanner werden eingesetzt und Anweisungen zu Gang und Verhalten werden gegeben. Wieder lange Flure, noch mehr große Hallen, überdimensionale Statuen, dann Luftschleusen und endlich: zwei abgedunkelte Räume. Hier müssen wir uns mehrmals vor den aufgebahrten und mumifizierten Leichnamen verbeugen. Man fügt sich dem Kult, dem abverlangten Respekt vor Führern, die bei uns als Diktatoren gelten, aber hier verehrt werden wie Götter.

Die U-Bahn in Nordkorea zu sehen, ist für uns Berliner ganz besonders. Auf endlosen Rolltreppen geht es über 100 Meter tief in die Erde. Unten angekommen sehen wir Paläste und keine U-Bahnhöfe. Die Züge stammen aus Berlin. Sie wurden hierher verkauft und außen umlackiert. Innen sind sie genau wie in Berlin, nur dass hier eben Bilder der großen Führer statt Monitoren hängen.

Am nächsten Morgen, als wir eine Elite-Grundschule auf dem Land besuchen, muss ich mich immer wieder kneifen, um zu glauben, was ich da sehe. Die Flure sind eiskalt, an den Wänden hängen Bilder, die vom Hass auf die USA zeugen, und grausame Bilder der japanischen Besatzer, die Kindern die Arme abhacken. Im Geografiezimmer sind die Raketenstützpunkte Nordkoreas auf einer Karte hervorgehoben. Die Schüler sollen die Stärke des Landes kennenlernen. In den Klassenzimmern ist es wärmer als auf den Fluren. Die Zweitklässler sitzen diszipliniert in ihrer Schuluniform an den Tischen und melden sich. Die Lehrerin ruft auf und zwei Kinder erheben sich. In gutem Englisch sagen sie: „I like pancake and what do you like?“

Wir fahren zum Chuch’e-Turm. Unser Guide erklärt uns, dass der erste Oberste Führer Kim Il-sung die Chuch’e-Ideologie in Nordkorea eingeführt und fest verankert hat. Sie sei anders als der Kommunismus, und so hört man auch nie von Karl Marx in diesem Land. Wir würden dazu gerne mehr wissen und wollen gleich googeln, aber das geht nicht. Für etwa 150 Euro hätten wir eine Prepaid-SIM kaufen können, mit der wir auch mobile Daten nutzen könnten. Unser englischer Guide verrät uns, dass das Internet in der DPRK weniger zensiert sei als in China! Auch die lokalen Touristenführer bestätigen mehrmals, dass Sie durch VPNs Zugriff auf alle Informationen haben. Überprüfen können wir das nicht.

 

Vom Turm aus hat man einen beeindruckenden Blick über die faszinierende Stadt Pjöngjang bis hin zum Kim-Il-sung-Platz, auf dem die berüchtigten Militärparaden stattfinden. ///

 

Text & Fotos: Ulli Pridat

28. August 2020 Travel m #59 zum mate.style.lab