HÖLLENTRIP DURCHS PARADIES
Man nehme einen Haufen – einen sehr großen Haufen – Sand und Geröll, lege ihn in die afrikanische Ebene und erhalte: ein globales Wahrzeichen. Mit seinen knapp 6.000 Höhenmetern ist der Kilimandscharo nicht nur der höchste Gipfel Afrikas, er ist auch Teil der sogenannten Seven Summits, der jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente. Der Kilimandscharo ist der erste Bergriese, den die entstehende Menschheit zu Gesicht bekommen hat, und Teil des kollektiven Menschheitsgedächtnisses. Für Bergwanderer ist das Abenteuer am höchsten freistehenden Bergmassiv der Erde deshalb besonders reizvoll.
Hochgefühl und Elend liegen im Urlaub selten so nah beieinander wie an den Hängen des Kilimandscharo. 30.000 Wanderer suchen jedes Jahr das Gipfelglück auf Afrikas höchstem Berg, 10.000 erreichen ihr Ziel nicht, und etwa dreißig Urlauber sterben jährlich. Wäre Fliegen ähnlich risikoreich, fielen jeden Tag mehrere Dutzend Flugzeuge vom Himmel.
Der Kilimandscharo steht ganz vorn auf der Liste der meistunterschätzten Gipfel der Welt. Für manchen Hobby-Wanderer wird die Besteigung zum Höllentrip durch eine der schönsten und außergewöhnlichsten Landschaften der Erde. An den Hängen herrscht Massentourismus jenseits der Grenze körperlicher Leistungsfähigkeit, denn das Gros der Urlauber hat keinerlei Erfahrung mit hochalpinen Wanderungen. Klettern muss man nicht können – umso mehr ist Ausdauer gefragt. Etwa eine Woche ist man für Auf- und Abstieg unterwegs.
Mit zunehmender Höhe sinkt die Menge des Sauerstoffs in der Atemluft. Die Blutgefäße in der Lunge verengen und die Sauerstoffaufnahme verringert sich. Die Wahrscheinlichkeit, deshalb von akuter Bergkrankheit betroffen zu sein, ist hoch. Etwa dreißig Prozent der Wanderer leiden bereits oberhalb von 3.000 Metern unter den Symptomen. Auf dem Weg zum Kraterrand ist das gerade mal die Hälfte der Wegstrecke. Ab 4.000 Metern ist Höhenkrankheit die Regel, nicht die Ausnahme: Atemnot, Kopfschmerzen, Übelkeit, Nasenbluten und durchwachte Nächte. Für viele Wanderer ebenfalls eine Qual ist der Gedanke an die Mahlzeiten. Zu den Symptomen der Höhenkrankheit gehören auch Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und vor allem Appetitlosigkeit. Das klingt nach einer effektiven Schlankheitskur – und für die meisten Wanderer ist es das auch. Allerdings unfreiwillig. Der Gewichtsverlust schwächt den Organismus zusätzlich und verringert die Chancen, das Ziel zu erreichen.
Die letzte Tageswanderung vor dem Gipfelaufstieg endet an einem Rastplatz auf 4.700 Höhenmetern. Ausblicke und Anstrengung sind hier gleichermaßen atemberaubend, denn beim Atmen wird die Luft jetzt nur noch mit halbem Druck in die Lungen gepresst. Hier fühlt sich mancher selbst nach einem Gang aufs Klo wie nach einem Hundert-Meter-Sprint. Man hechelt, keucht, schnappt nach Luft. Das Herz rast selbst in Ruhephasen. Gute Voraussetzungen für eine kräftezehrende Wanderung unter extremer physischer und psychischer Belastung sind das nicht. Die Nacht vor der letzten Etappe ist kurz. Niedergeschlagen, übermüdet und verdreckt rüsten sich die meisten Wanderer bereits gegen Mitternacht für den Gipfelsturm. Man wandert durch die Finsternis, weil man den Kraterrand erreichen sollte, solange der Boden noch frosthart und bevor die Wolkendecke geschlossen ist. Gewandert wird in wahrem Schneckentempo. Wer die rund 1.000 Höhenmeter in fünf bis sechs Stunden bewältigt, ist zum Sonnenaufgang am Kraterrand – aber damit noch lange nicht am Ende der Wanderung. Um ganz nach oben zu kommen, muss man noch weitere zwei Stunden durchhalten. Und so quälen sich mehrere hundert halb tote Wanderer mit Höhenkrankheit, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, um über den Kraterrand zu seinem höchsten Punkt zu gelangen. Bei zweistelligen Minusgraden und starkem Wind. Idylle geht anders.
Leider können sich viele Bergsteiger nach ihrem Aufstieg an die beinahe außerirdisch schöne Landschaft hoch über den Wolken oder an Details aus der Gipfelregion kaum noch erinnern. Einige halluzinieren. Trotzdem bereuen im Nachhinein die Wenigsten die Strapazen. Der Weg durch diesen außergewöhnlichen Teil Afrikas führt an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit und eröffnet beinahe unendliche Ausblicke in die weiten Ebenen zu Füßen des Kilimandscharo – egal ob man es bis zum Gipfel schafft oder nicht. Unser Tipp: Langsam gehen. Das trifft auf die einzelnen Etappen zu und auf die Tage, die man sich für eine Besteigung gönnt. Viele Symptome der Höhenkrankheit lassen sich durch weniger Eile vermeiden. Experten empfehlen eine gemächliche Anpassung mit maximal 400 Metern Höhenunterschied am Tag. Am Kilimandscharo muss man auf den meisten Routen tausend schaffen – deshalb empfiehlt es sich, mindestens einen Tag, an dem man keine Strecke überwindet, für die Akklimatisierung einzuplanen.
REISEVERANSTALTER
Hauser Exkursionen bietet von Dezember bis März sowie von Juli bis Oktober Wandertouren auf den Kilimandscharo an, die ab mindestens zwei Teilnehmern durchgeführt werden. Das Hüttentrecking auf der Hauptroute kostet ab 2.420 Euro. Im Preis sind unter anderem die Flüge, alle Transfers, Unterkunft mit Vollpension und die Nationalparkgebühren enthalten. /// www.hauser-exkursionen.de
Text & Fotos: Carsten Heider
Schlagworte: Kilimandscharo, Reportage, Tansania, Travel