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CHRISTOPHER WINTER
Culture
18. August 2016

CHRISTOPHER WINTER

Der britische Maler Christopher Winter ist mit seinen vermeintlich friedlichen Abbildungen bayerischer Alpenidyllen, die erst bei längerer Betrachtung verstörende Details preisgeben, und mit seinen atmosphärischen Geisterbildern schon lange ein Liebling von Mate. Im September kuratiert der Wahlberliner eine Ausstellung in seiner englischen Heimat Hastings. Worum es geht und warum Winter jetzt Menschen in Bärenkostümen malt, erzählt er im Gespräch mit Mate-Chefredakteur Felix Just. Das ganze Interview ist in der Herbstausgabe der Mate ab Anfang September nachzulesen.

Foto: Philipp-Alexander Primus

CHRISTOPHER, DAS LETZTE MAL, DASS WIR DICH GESPROCHEN HABEN, WAR VOR SECHS JAHREN. DAMALS HATTEST DU EINE AUSSTELLUNG WÄHREND DER BIENNALE. WIE GEHT ES DIR?

Mir geht es sehr gut! Die Kunstwelt scheint die Nase noch nicht voll von mir zu haben. (lacht) Sich um die Zukunft zu sorgen, ist typisch Künstler, aber bislang hat es immer irgendwie funktioniert. Letztes Jahr hatte ich ganz schön was zu tun. Ich habe vier Soloausstellungen gestemmt und andere Shows kuratiert. Dieses Jahr lasse ich es etwas ruhiger angehen. Das ist natürlich absoluter Luxus, wenn man das als Maler einfach so entscheiden kann.

 

DAMALS HAST DU GESAGT, BERLIN SEI EINE TOLLE STADT FÜR JUNGE KÜNSTLER, EINE GÜNSTIGE STADT, AUFREGEND … WÜRDEST DU DAS HEUTE SO NOCH UNTERSCHREIBEN?

Es strömen auf jeden Fall immer noch viele junge Menschen nach Berlin in der Hoffnung, hier als Künstler Fuß zu fassen. So günstig wie vor sechs Jahren ist es allerdings nicht mehr. Guck dir doch nur mal die Mieten an. Ich habe Glück, weil ich einen uralten Mietvertrag für mein Studio habe. Für die Summe, die ich an Miete zahle, würde ich heute nur weit außerhalb des Stadtzentrums etwas bekommen. Gleichzeitig haben viele Galerien Probleme, sich über Wasser zu halten. Ich will keine Namen nennen, und von außen sieht es vielleicht so aus, als würde es den meisten Galerien gut gehen, aber das ist nicht immer der Fall. Ich glaube also, dass Berlin noch immer eine tolle Stadt für junge Kreative ist, es ist aber auch ungleich schwerer geworden, in der Stadt dauerhaft erfolgreich zu sein.

 

IN ENGLAND HAST DU IM SEPTEMBER EINE AUSSTELLUNG, DIE DU KURATIERST. „A NEW LANGUAGE“ IST TEIL DES „ROOT 1066“-FESTIVALS IN HASTINGS.

Das Festival feiert das 950. Jubiläum der Schlacht von Hastings und den Einzug der Normannen in England. Die Show trägt den Titel „A NEW LANGUAGE“. Als die Normannen 1066 nach England kamen, brachten sie auch die französische Sprache mit auf die Insel. Vor ihnen kamen die Angelsachsen, die mehr oder weniger Deutsch sprachen. Die Franzosen ersetzten aber nicht einfach die Sprache der Angelsachsen mit ihrer, sondern vermischten das Deutsch mit dem Französischen. Teile der Show beschäftigen sich also mit dem Thema Sprache, andere Arbeiten drehen sich um kulturelle Kollisionen im Ganzen.

Nicolas Provost: The Invader and The Origin of The World

ICH NEHME AN, DASS DIE DERZEITIGE FLÜCHTLINGSKRISE AUCH THEMA DER AUSSTELLUNG IST.

Es gibt zwei Künstler, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Einer von ihnen ist aus dem Iran und hat ein Videotagebuch gedreht, das seine Erinnerungen aufarbeitet, die er gemacht hat, als er mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen ist. Er und seine Familie sind durch ganz Europa gewandert und haben dabei die wahnsinnigsten und wundervollsten Dinge erlebt. Dazu muss man allerdings wissen, dass viele dieser Erinnerungen verschwommen oder nur teilweise wahr sind. Sein Film heißt deshalb auch „Cryptoamnesia“. Die Ausstellung besteht nicht nur aus Bewegtbildbeiträgen. Aber auch der andere Künstler, der sich mit der Flüchtlingskrise beschäftigt, hat für die Show einen Film produziert. Nicolas Provost ist sogar ein richtig bekannter Filmemacher. In seinem Film sieht man, wie die Körper farbiger Männer an einen FKK-Strand gespült werden, irgendwo im Mittelmeer. Eine weiße Frau kommt den Männern zu Hilfe. Das ist schon sehr poetisch. Auf der einen Seite hast du diese halb toten Afrikaner, die es irgendwie in das verheißungsvolle Europa geschafft haben, und auf der anderen Seite die Massen nackter Urlauber, die sich am Strand sonnen.

 

WO WIR SCHON VON EUROPA, DER WELT UND GROSSBRITANNIEN SPRECHEN: WIE STEHST DU ZUM BREXIT?

(lacht) Ich bin traurig und wütend. Am Morgen nach dem Referendum lief ich „fuck, fuck, fuck“ murmelnd durch meine Wohnung. Dann kamen die ersten SMS meiner Freunde. Die Nachrichten waren inhaltlich und im Wortlaut nicht wirklich weit weg von meiner eigenen Meinung. „We are fucked“, schrieb ein Bekannter. (lacht) Ich glaube, der Brexit ist ein Desaster. Keiner hat sich im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, was passieren würde, wenn sich die Menschen tatsächlich für den Ausstieg aus der EU entscheiden. Diejenigen, die den Brexit promotet haben, haben sich aus dem Staub gemacht. Besonders für die jüngere Bevölkerung ist der Ausgang der Wahl eine echte Tragödie. Die meisten Menschen, die pro Brexit gestimmt haben, waren über fünfzig.

 

LASS UNS ÜBER DEINE EIGENEN ARBEITEN SPRECHEN. DU BIST NACH HEIDI-ESKEN MOTIVEN UND GEISTERBILDERN NUN BEI SURREALISTISCHEM ANGELANGT. WAS WAR DER IMPULS, DICH MEHR MIT DEM GENRE AUSEINANDERZUSETZEN?

Ich mag das Wort Surrealismus nicht. Ich bevorzuge den Begriff der Hyperrealität. In dieser neuen Serie dreht sich alles um verschiedene Realitäten und fremde Welten. Die Idee dazu kam mir, während ich an meiner Geister-Serie arbeitete. Am Anfang ging es noch um Magie und optische Illusionen. Dieses Thema beschäftigte mich eine Weile, bevor ich mich dann der eigentlichen Hyperrealität zugewandt habe. Ich fing an, Situationen zu malen, Räume, in denen an der Wand Bilder hingen, mit denen irgendetwas nicht stimmte, die außerhalb der Realität des eigentlichen Bildes zu existieren scheinen. Ich bin fasziniert von Physik und Parallelwelten. Ich baue auch abstrakte Skulpturen, die später in Gemälden wieder auftauchen, oder abstrakte Bilder, die es dann in die größeren realistischen Gemälde schaffen. Manche dieser abstrakten Arbeiten haben ein Datum, das lange zurückliegt, andere tragen ein Datum aus der Zukunft.

 

UND WAS HAT ES MIT DEM BÄREN AUF SICH, DER IN DEINEN NEUEREN BILDERN AUFTAUCHT?

Es gibt mehr als eine Erklärung für den Bären. Ich hatte schon immer eine große Affinität zu Märchen. Im Kontext mit meiner neuen Bilderserie geht es aber vor allen Dingen darum, mit der Erwartungshaltung des Betrachters zu spielen. Es ist nämlich gar kein Bär, sondern eine Person im Bärenkostüm. In manchen Bildern siehst du menschliche Hände, die aus dem Kostüm hervorschauen, oder den Kopf eines kleinen Mädchens. In dem Betrachter werden Fragen provoziert wie: „Warum hat diese Person ein Bärenkostüm an?“ Oder: „Was haben die beiden Personen miteinander zu tun?“ Einfach einen Bären neben einen der Protagonisten meiner Bilder zu setzen, hätte für mich nicht funktioniert. Das wäre Surrealismus. Es musste also ein Mensch im Bärenkostüm sein. Ich hoffe, das beantwortet deine Frage irgendwie. (lacht) /// 10. – 25.9., A NEW LANGUAGE @ ROOT 1066, The Observer Building, 53 Cambridge Road, Hastings / www.christopher-winter.com

 

Interview: Felix Just

 

 

18. August 2016 Culture m # zum mate.style.lab